Journalismus mit dem Kopf, nicht mit den Eiern!
Eine Laudatio auf SIGRID LÖFFLER anläßlich der Verleihung des Publizistikpreises der Stadt WienSehr geehrte Frau Löffler!
Sehr geehrter Herr Stadtrat!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
"Die Löffler ist zwar eine Linksliberale", sagte der Obmann der Sozialistischen Jugend Wels an einem Nachmittag irgendwann in den späten Siebzigern zu meinen Freunden und mir, als wir nach der Schule wieder einmal auf einer der damals zeittypischen Betonbänke in der Welser Fußgängerzone hockten (das war gleich vis-à-vis vom Weincomptoir Hauser, für die, die's kennen), "die Löffler ist zwar eine Linksliberale", sagte also der Obmann der Sozialistischen Jugend Wels, damals siebzehn oder achtzehn Jahre alt, während er das "profil" sinken ließ und versonnen über sein Trotzki-Bärtchen strich, "aber was sie schreibt, die Löffler, hat Hand und Fuß."
Das durfte durchaus als Kompliment gelten, denn rechts von Rosa Luxemburg ließ der Obmann der Sozialistischen Jugend Wels damals kaum etwas gelten. Im Gegensatz zu manch einem seiner Genossen hat er später übrigens nicht den langen Marsch durch die Vinotheken angetreten oder eine flippige PR-Agentur gegründet, die Kampagnen für schicke Investmentfonds oder Gewerkschaftsfresser wie Frank Stronach entwickelt, nein, im Verlauf einer überaus wechselhaften Karriere ist er – was man absolut okay finden kann – inzwischen zum Pressesprecher der Arbeiterkammer Oberösterreich avanciert.
Ich weiß nicht mehr, sehr geehrte Frau Löffler, was für ein Text aus Ihrer Feder uns damals, in den späten siebziger Jahren, so sehr begeistert hat. Vielleicht haben Sie den neuen Roman von Heinrich Böll verrissen oder auf gewohnt pointierte Weise die kulturpolitische Wende analysiert, die ein Wahlsieg des schwarz-blauen Gruselduos Taus/Götz mit sich bringen würde, vielleicht haben Sie die moralische Verderbtheit der Androsch-Sekanina-SPÖ aufs Korn genommen oder die tiefere Bedeutung von Susan Sontags jüngstem Essay ins rechte Licht gerückt. Auf jeden Fall haben wir Montag für Montag mit kritischem Interesse und heißem Herzen gelesen, was Sie im "profil" geschrieben haben, auch wenn Sie Georg Lukacs und seine lichtvolle Studie zur Theorie des Romans damals vielleicht nicht in gleichem Maß für einen heiligen Text gehalten haben wie wir.
"Die Sentimentalität ist das Alibi der Hartherzigen", sagt Schnitzler, und ich darf wohl vermuten, liebe Frau Löffler, daß Sentimentalität auch Ihnen eine verdächtige Haltung ist, im Leben wie in der Kunst. Manchmal allerdings geht es nicht anders: Manchmal muß man sentimental werden. Wenn man an diesem Podium steht beispielsweise, um Sie – wie pompös das klingt – für Ihr Lebenswerk zu ehren. Dann denkt man nicht ohne Wehmut an eine Zeit zurück, da man als kulturell interessierter Österreicher gar nicht anders konnte, als montags das "profil" aufzuschlagen und zu lesen, was Sie über Theweleits Theoreme oder über den Aufstand rechtskonservativer Trachtensumper gegen Claus Peymann zu sagen hatten.
Sie waren und sind eine Ausnahmeerscheinung im österreichischen Journalismus, liebe Frau Löffler: der Moderne und dem kritischen Diskurs verpflichtet, für Verhaberungen nicht zu haben, differenziert und kompromißlos in Ihrem Urteil. Sie haben nicht nur etwas zu sagen, um ein Wort von Karl Kraus zu variieren, Sie können es auch ausdrücken. Ob als außenpolitische Redakteurin der "Presse" oder als eine der leading figures im "profil" der siebziger und achtziger Jahre, ob als Feuilleton-Chefin der "Zeit", als Herausgeberin der "Literaturen" oder als stets sachlich argumentierende Kontrahentin des televisionären "Kreischerkönigs" Marcel R. – Sie sind sich, wie man so schön sagt, immer treu geblieben: als glänzend schreibende und glänzend formulierende Publizistin.
Im November 1996 sind Sie weggegangen aus Österreich, und ich darf Ihnen sagen: Die Situation im Lande ist nicht besser geworden seither. Ich spreche nicht so sehr von der Politik, obwohl es natürlich unerquicklich genug ist, daß sich eine Wende-Koalition mit völkisch-populistischer Grundierung seit einiger Zeit an einer neoliberalen Transformation Österreichs versucht. Schlimm genug auch, daß man immer öfter schmißzerpflügte Visagen in den Wandelgängen der Ministerien und anderer Schaltzentralen der öffentlichen Verwaltung trifft – aber das sind temporäre Erscheinungen der österreichischen Innenpolitik. Wenn ich behaupte, daß die Dinge nicht besser geworden sind in dieser Repubik, dann spreche ich vor allem von den Medien.
Wenn man an die Zeit zurückdenkt, da Sie im "profil" publiziert haben, sehr geehrte Frau Löffler, dann denkt man an eine Zeit zurück, da der Magazinjournalismus im Lande noch nicht in erster Linie "mit den Eiern" gemacht wurde, wie es Österreichs erfolgreichster Magazinverleger vor einiger Zeit einem illustrativen Apercu zufolge postuliert haben soll. In einem Essay mit dem Titel "Die neuen Medien" haben Sie sich bereits in den frühen Neunzigern mit dem offenbar unaufhaltsamen Siegeszug des "U-Journalismus" beschäftigt. "'News' ist kein Nachrichtenmagazin", formulierten Sie da, "'News' ist ein Marketingkonzept. Der Journalismus, wie dieses Blatt ihn praktiziert, ist die gedruckte Verlängerung des Tresens in einem Szenebeisl. Politik wird gnadenlos personalisiert, Information durch Klatsch ersetzt... Der U-Journalist, wie er in der 'News'-Redaktion auftritt, versteht sich als Vehikel der Unterhaltung, nicht der ernstgemeinten Information. Er ist der Marktschreier des Bestehenden."
Leider muß man feststellen, daß die Marktschreier des Bestehenden nunmehr auch die schwachbrüstigen Rudimente von kritischer Öffentlichkeit in diesem Land okkupiert haben. Auch das "profil", Sie wissen es, ist vor einiger Zeit in den ökonomischen Einflußbereich des real existierenden Fellnerismus übergegangen. Das heißt zwar noch nicht, daß der mit allen Abwassern gewaschene Journalismus der Marke "News" auch in der "profil"-Redaktion bereits die Macht übernommen hätte, das heißt es nicht, aber der Zeitpunkt ist durchaus absehbar, an dem dies geschehen könnte.
Es gehört zu den erfreulicheren Paradoxien des österreichischen Nachkriegsjournalismus, daß eine – um es beschönigend auszudrücken – mediokre Presselandschaft immer wieder hervorragende Journalistinnen und Journalisten hervorgebracht hat. Eine dieser Journalistinnen, sehr geehrte Frau Löffler, sind Sie. Und vielleicht findet es Ihr Interesse, daß seit den siebziger Jahren eine neue, kritische Generation von Medienleuten herangewachsen ist, eine Generation, die sich unter anderem auch auf Sie beruft. Manch eine und manch einer hat sich damals – in den Fußgängerzonen und Schülercafés dieses Landes Ihre Texte verschlingend – heimlich, still und leise gedacht: "So gut wie die Löffler will ich auch einmal werden!"
Das ist nicht leicht, gewiß nicht. Aber ich darf sagen: Man bemüht sich!
Auf jeden Fall haben wir uns einiges abgeschaut von Ihnen: Wie man liest und wie man schreibt, wie man kämpft und wie man streitet, wie man offen bleibt und kritisch, auch wenn man da und dort Konzessionen macht an die Spielregeln des Betriebs.
Ihr Weggang aus Österreich hat uns geschmerzt, das gebe ich zu. Aber eines darf ich Ihnen sagen: Wir bemühen uns, die Lücke, die Sie hinterlassen haben, so gut wie möglich, also notdürftig, auszufüllen. Wir haben nämlich noch etwas von Ihnen gelernt, liebe Frau Löffler, etwas sehr Wichtiges: Dieses Land braucht Journalisten, die nicht mit den Eiern arbeiten, sondern mit dem Kopf.
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Gehalten am 24. Mai 2002 im Wiener Rathaus.
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