"Musil war ein großer Kacker"
Der Dichter FRANZOBEL über das Verdauungsverhalten bedeutender Romanciers, seine Verhaftung als Bankräuber und seinen Roman "Scala Santa". Von Günter Kaindlstorfer.Franzobel, für Ihren Roman "Scala Santa" haben Sie sich vom berühmten Mutzenbacher-Roman inspirieren lassen. Was hat Sie an Felix Saltens literarischer Masturbationsvorlage interessiert?
Franzobel: Als ich an meinem Buch zu schreiben begonnen habe, hat es in den Medien unglaublich viele Kinderschänder-Berichte gegeben. Parallel dazu habe ich das Mutzenbacher-Buch von Felix Salten gelesen wenn es denn von Salten stammt , und dabei bemerkt, daß die Mutzenbacher eigentlich eine einzige Anleitung zum Kindesmißbrauch ist. Während der gesamten Handlung ist die Protagonistin zwischen sechs und zwölf Jahre alt. Das war für mich neu und beunruhigend. Abgesehen davon habe ich das Salten-Buch unglaublich lustig gefunden, es handelt sich um eine deftige, im Grunde unerhört humorvolle Pornogeschichte.
Sie selbst wollten keine Pornogeschichte schreiben?
Franzobel: Das kann man heute gar nicht mehr. Dieses Feld beackert das deutsche Privatfernsehen mit großem Erfolg, die schöne Literatur vermag da nicht mitzuhalten. Die Mutzenbacher-Story ist auch nur eine Art Ausgangssituation für das Buch. Ich wollte eine neue Sprache für Lust und Sinnlichkeit finden. Ich habe das Personal des alten Romans übernommen und die Handlung in die neunziger Jahre verlegt. Dann hat der Stoff ein Eigenleben entwickelt und auf faszinierende Art und Weise zu wuchern begonnen.
Man erkennt auch Elemente aus der "Strudlhofstiege" wieder.
Franzobel: Heimito von Doderer ist eines meiner großen Vorbilder. Er hat eine ähnliche Form der Bildfindung wie ich, er geht ähnlich vor bei der Beschreibung von Gefühlen, bei der Findung von Metaphern. Doderer ist einer der wenigen Autoren des 20. Jahrhunderts, die das Sujet "großer Roman" bewältigt haben.
Er soll auch in erotischer Hinsicht sehr agil gewesen sein.
Franzobel: Ganz wie ich. Nur, daß mir keine Horden brünftiger Schulmädchen hinterherlaufen, die ausgepeitscht werden wollen.
Der Titel Ihres Romans "Scala Santa" spielt auf eine Stiege in Rom an. Teile des Buchs sollen in Rom entstanden sein, stimmt das?
Franzobel: Ja, aber auch in Buenos Aires, das heißt, in südlichen Ländern, wo man viele nackte Frauenbeine sieht. Das war für den Entstehungsprozeß nicht unwichtig.
Inwiefern?
Franzobel: Durch die unzensierte Körperlichkeit, der ich dort unentwegt ausgesetzt war. Mir ist in Rom zum Beispiel die Popologie eingefallen, die Pseudo-Wissenschaft, die anhand der Gestalt des menschlichen Arsches alle wichtigen Charaktereigenschaften einer Person zu erkennen glaubt.
Ihr Buch hat auch eine religiöse Komponente. Stichwort: Scala Santa.
Franzobel: Die Scala Santa hat mich unerhört fasziniert. Auf dieser Stiege soll Jesus während seines Prozesses rauf- und runtergeschritten sein. Man hat sie im dritten Jahrhundert angeblich nach Rom gebracht. Im Lauf der Jahrhunderte wurde dann eine Kapelle drumherum gebaut. Von den Gläubigen wird dieser Stiege große Ehrerbietung entgegengebracht: Man darf sie nur auf den Knien raufrutschen. Ich habe es selbst probiert.
Wie war's?
Franzobel: Man empfindet starke Schmerzen dabei, ich hätte nie gedacht, daß Stiegenraufknien so weh tun kann.
Sind Sie auch religiöser Gefühle teilhaftig geworden?
Franzobel: Eher nein. Ich bin im kirchlichen Ambiente nur in begrenztem Maß religiöser Gefühle fähig. Wenn, dann eher im Bett oder in der Natur.
Im Bett?
Franzobel: Na ja, beim Sexmachen und beim Schlafen.
In Ihrem Roman treten an die 70 Hauptpersonen auf. Wie konnten Sie da den Überblick bewahren?
Franzobel: Ich habe eine Veranlagung zum Zeichnen, deshalb habe ich mir großflächige Skizzen angefertigt, Soziogramme und solches Zeug. Das hat mir geholfen. Ich mache eigentlich immer Skizzen beim Schreiben, es tut mir gut, wenn ich die Personen aufzeichnen kann.
Haben Sie die Zeichnungen aufgehängt?
Franzobel: Ich habe sie an die Decke gepinnt und immer wieder vom Bett aus draufg'schaut. Ich schreibe ja vorwiegend liegend.
Kein Scherz?
Franzobel: Nein, wirklich. Ich schreibe im Liegen.
Verwenden Sie Hilfsmittel, um den kreativen Prozeß in Gang zu bringen? Ich weiß nicht, Alkohol oder Drogen?
Franzobel: Während der Arbeit an "Scala Santa" habe ich Bonbons gelutscht...
Bonbons?
Franzobel: Ja, ich habe mir damals gerade das Rauchen abgewöhnt, als Ersatz mußte ich Bonbons lutschen, eine ungeheure Menge. In Rom hatte das einen fatalen Effekt. Ich kann kaum Italienisch und deshalb verstand ich die Warnung auf den Packungen nicht. Wäre ich des Italienischen mächtig gewesen, hätte ich gewußt: Große Mengen der von mir konsumierten Drops wirkten abführend.
Sie haben also Durchfall bekommen!
Franzobel: Diarrhoe, wie der Mediziner sagt. Aber Sie brauchen nicht so mitleidig zu schauen, auf den Schreibprozeß hat sich das ausgesprochen positiv ausgewirkt. Die Verdauung hat ja viel mit dem Schreiben zu tun. Wenn man auf der Toilette losläßt, geht's auch beim Schreiben leichter. Lyriker, so mein Eindruck, neigen eher zu Verstopfung als Romanciers. Romanschriftsteller haben in der Regel eine gute Verdauung. Musil etwa oder Joyce waren ohne Zweifel große Kacker, sonst hätten sie nicht so produktiv sein können.
Sie sind im oberösterreichischen Hausruckviertel aufgewachsen, Franzobel, in der Nähe des Städtchens Vöcklabruck. Schlägt sich die hügelige Beschaffenheit Ihrer Heimatlandschaft irgendwie nieder in Ihren Texten?
Franzobel: Ganz ohne Zweifel. Für mich hat die Gegend, aus der ich komme, viel mit Thomas Bernhard zu tun, ich bin ja mitten im Thomas-Bernhard-Land aufgewachsen, wenn Sie so wollen. Die wellige Struktur der Gegend spiegelt sich im rhythmischen Auf und Ab meiner Prosa. Sie hat auch im Werk Thomas Bernhards ihren Niederschlag gefunden.
Welches Verhältnis haben Sie speziell zu Vöcklabruck?
Franzobel: Ich komme ja nicht direkt aus Vöcklabruck, sondern aus einem Dorf namens Pichlwang kennen Sie das?
Nie gehört.
Franzobel: Pichlwang ist winzig klein, es liegt auf halber Strecke zwischen Attersee und Vöcklabruck. Auf der Landkarte finden Sie's inmitten des oberösterreichischen Ortschafts-Schamdreiecks Petting Fucking Mösendorf.
Sie scherzen!
Franzobel: Aber nein, die Orte heißen wirklich so... Um aber auf Pichlwang zurückzukommen, das einzig Bemerkenswerte an dieser Ortschaft ist der Umstand, daß sie geteilt ist wie früher Berlin. Der eine Teil gehört zur Gemeinde Lenzing, der andere zur Gemeinde Timelkam, zumindest postalisch.
Wie aufwühlend!
Franzobel: Ich kann Ihre Ironie verstehen, aber ich teile sie nicht. Denn mitten durch Pichlwang verläuft eine Art Demarkationslinie, darüber ist in meiner Kindheit unentwegt gesprochen worden, die Teilung von Pichlwang gehört sozusagen zum intimsten Kern meiner Kindheitserinnerungen... Aber was ich eigentlich sagen wollte: Vöcklabruck ist interessant, weil es Hauptstadt im chinesischen Oberösterreich ist, die Orte im näheren Umkreis heißen Timelkam, Lenzing, Ficking, Wankham, Haiding, Pichlwang...
Entschuldigung, was haben diese Orte mit China zu tun?
Franzobel: Na, sprechen Sie's einmal aus: Lenzing, Ficking, Haiding... das klingt doch irgendwie Chinesisch, finden Sie nicht?
Jetzt, wo Sie's sagen...
Franzobel: Sehen Sie.
In der Nähe Ihres Kindheitsbezirks liegt auch die schöne Stadt Gmunden. Wie sehen Sie das Verhältnis der Vöcklabrucker zu den Gmundenern?
Franzobel: Das kann man mit einem Wort beschreiben: neidisch. Die Gmundender sind reicher und schicker als die Vöcklabrucker. Brauner auch. Die Vöcklabrucker sind natürlich auch braun, aber weit nicht so braun wie die Gmundener. Ehrlich gesagt, ich besuche meine oberösterreichische Heimat nur mehr selten. Ich nütze meine Aufenthalte vorwiegend zum Spazierengehen und zum Naturerleben. Nur meistens beschimpfen mich die Jäger, die selbst mit ihren Autos durch den Wald fahren. Mir werfen Sie vor, daß mein Spazierengehen die Tiere erschrecke.
Wie werden Ihre Bücher rezipiert in der Heimat?
Franzobel: Nachdem ich den Bachmannpreis gewonnen habe, wollte man in Vöcklabruck allen Ernstes eine Straße nach mir benennen. Es hat einen entsprechenden Antrag im Gemeinderat gegeben. Leider ist nichts draus geworden. Mir hätte das gut gefallen: Ich hätte mich vor einem Straßenschild mit der Aufschrift "Franzobelstraße" fotografieren lassen können. Wäre toll gewesen. Na ja, der Antrag wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt.
Seitdem Sie den Bachmannpreis gewonnen haben, hat sich Ihr Ruhm noch gemehrt. Man kennt Sie aus Funk und Fernsehen. Müssen Sie jetzt viele Autogramme geben?
Franzobel: Ja, zwar ist es nicht so, daß sich kreischende Teenies auf mich stürzen, wenn ich einen Supermarkt betrete, das nicht, aber brieflich wenden sich schon viele Autogrammjäger an mich. Sie glauben gar nicht, wie viele Autogrammsammler es gibt! Ich muß mindestens so viele Autogramme geben, wie ich Bücher verkaufe.
Schmeichelt Ihnen das?
Franzobel: Ich würde lieber mehr Bücher verkaufen.
Vor einigen Monaten sind Sie in Stuttgart als Bankräuber festgenommen worden. Was hat sich da zugetragen?
Franzobel: Ja, das war kurios. Ich hatte einen Termin beim Intendanten des Stuttgarter Staatsschauspiels und verließ mein Hotel. Während ich in Richtung Theater gehe, sehe ich, daß ein Polizeiwagen neben mir herfährt. Die Beamten schauen so komisch aus dem Fenster raus. Ich denke mir: Was wollen die? Dann steigen sie aus, verlangen meinen Ausweis und erklären mir, daß ich mitkommen müsse.
Mit welcher Begründung?
Franzobel: Sie behaupteten, daß vor einer Viertelstunde ein schwarzgekleideter Täter ganz in der Nähe eine Bank überfallen habe. Ich trüge ebenfalls schwarze Kleidung und sei deshalb tatverdächtig. Da bin ich halt ins Polizeiauto gestiegen.
Wie ist die Geschichte ausgegangen?
Franzobel: In der Bank kam es zu einer Gegenüberstellung mit einer Zeugin. Die Dame hat mich entlastet.
Die "Bild"-Zeitung hat eine große Geschichte daraus gemacht.
Franzobel: Ja, nachdem ich wieder auf freiem Fuß war, rief mich ein "Bild"-Reporter an. Ein interessanter Mann. Mein Name war ihm ganz und gar unbekannt, aber darum ging's ja nicht. Er hat eine Riesen-Story daraus gemacht. Die Schlagzeile lautete: "Theaterstar verhaftet". So gesehen blicke ich mit einigem Amüsement auf diese Geschichte zurück. Ich habe sie auch schon mehrfach erzählt, und das Absurde dabei ist, daß sich nun laufend Leute bei mir melden, die ebenfalls zu Unrecht in Stuttgart als Bankräuber festgenommen worden sind. Vielleicht sollte ich einen Verein der in Stuttgart zu Unrecht festgenommenen Bankräuber gründen. Sehr grotesk, das alles. Nur meine Mutter hat es bis heute nicht verwunden.
Warum denn nicht?
Franzobel: Na ja, die Schande... und die gesundheitliche Gefährdung, der sie damals ausgesetzt war. Sie hat den Teletext im ORF aufgedreht und gelesen: "Franzobel als Bankräuber verhaftet". Da hat sie fast einen Schlaganfall bekommen.
DAS BUCH:
Franzobel: SCALA SANTA ODER JOSEFINE WURZNBACHERS HÖHEPUNKTE
Roman, Zsolnay Verlag (2002), 396 Seiten, ISBN: 3552049568.
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