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Josef Haslinger

"Die SPÖ hat die Intellektuellen verloren"

JOSEF HASLINGER über das Elend der österreichischen Sozialdemokratie, den Siegeszug der amerikanischen Literatur und seinen neuen Roman "Das Vaterspiel". Von Günter Kaindlstorfer.

Josef Haslinger, was haben Sie gegen die SPÖ?

Haslinger: Im Grundsatz nichts, im Detail eine Menge. Warum fragen Sie?

Weil Sie in Ihrem neuen Roman "Das Vaterspiel" ziemlich hart mit der österreichischen Sozialdemokratie ins Gericht gehen.

Haslinger: Die Entwicklung der SPÖ bereitet mir schon seit geraumer Zeit Unbehagen. Die Sozialdemokraten tragen einen wesentlichen Teil an Verantwortung, daß die politische Situation in Österreich so ist, wie sie derzeit ist. Die SPÖ hat Haider das Feld bereitet. Denken Sie an die zahlreichen Affären und Skandale, die die Partei in den achtziger und teilweise auch in den neunziger Jahre erschüttert haben, denken Sie an die Ausländerpolitik, die die Forderungen der Freiheitlichen an Restriktivität fast noch in den Schatten gestellt hat.

Ihr Buch ist als sozialdemokratische Familiengeschichte angelegt. Konnten Sie dabei auf eigene Erfahrungen zurückgreifen?

Haslinger: Überhaupt nicht. Ich stamme aus einem bäuerlichen Milieu im Waldviertel. Die Geschichte ist frei erfunden, und wenn ich da und dort Detailinformationen gebraucht habe, habe ich mich auf die Auskünfte sozialdemokratischer Freunde aus Wien gestützt. Im Prinzip wollte ich das sozialdemokratische Milieu von innen zeichnen, ich wollte untersuchen, wie es mit einer Partei, die einst mehr als fünfzig Prozent der Stimmen auf sich vereinigt hat, soweit kommen konnte, daß sie heute bei 30, 32 Prozent herumgrundelt.

Der Held Ihres Buchs, Rupert Kramer, ist der Sohn eines Karrierepolitikers, er laboriert an chronischer Erfolglosigkeit, hängt nächtelang am Computer herum und entwickelt ein abstruses Vatervernichtungsspiel. Ein Versager?

Haslinger: Nur auf den ersten Blick. Der Protagonist meines Buches ist ein hochsensibler, durchaus talentierter Bursche, der seinen Platz im Leben erst finden muß. Er leidet unter seinem übermächtigen Vater, natürlich, aber er trägt auch ein beachtliches Potential in sich.

Ein zweiter Handlungsstrang Ihres Buchs führt ins Litauen des Jahres 1941. Warum Litauen?

Haslinger: Die Ursprungsidee meines Romans war folgende: Ich wollte einen jungen, unpolitischen Menschen aus antifaschistischem Elternhaus mit einem alten Nazi konfrontieren. Das sollte ursprünglich ein österreichischer Nazi sein, aber dann las ich in der Zeitung von einem litauischen Kriegsverbrecher, der in den USA enttarnt wurde. Mein Interesse für den kleinen, baltischen Staat und seine Geschichte war geweckt. Als ich dann in Amerika auch Menschen aus Litauen kennenlernte, nahm der Plot, wie er jetzt vorliegt, endgültig Gestalt an.

Sie schildern die schrecklichen Pogrome an den Juden der Stadt Kaunas...

Haslinger: Ja, diese Massaker wurden nicht etwa von der SS verübt, nein, es waren litauische Schlägerbanden, die ihrer Blutrünstigkeit im Juni 1941 freien Lauf ließen. Sie nützten den Abzug der Roten Armee, um ihre Mordgelüste zu befriedigen. Ich habe mich für die litauische Geschichte interessiert, weil sie verblüffende Parallelen zur österreichischen aufweist. Da wie dort gibt es üble Verstrickungen in die Verbrechen des Nationalsozialismus, da wie dort gibt es eine tiefverwurzelte Unfähigkeit, sich mit diesen Verbrechen auseinanderzusetzen. Das hat mich interessiert.

Wird Ihr Buch auch in Litauen erscheinen?

Haslinger: Ich hoffe es.

Mit Ihrem Thriller "Opernball" haben Sie einen internationalen Bestseller gelandet. War das für Sie belastend?

Haslinger: Durchaus, ich habe bei der Arbeit an meinem neuen Buch einen gewissen Druck auf mir gespürt. Ich wollte ja auf keinen Fall eine Fortsetzung von "Opernball" schreiben, "Philharmonikerball" oder etwas in der Art, nein, ich wollte etwas Neues machen. Nur: Es gibt eben eine hohe Lesererwartung. "Opernbal" ist von einigen hunderttausend Leuten gelesen worden, die werden sicher mit einem gewissen Interesse auch zu meinem neuen Buch greifen. Diese Leser will ich nicht enttäuschen. Ich möchte ihnen Spannung, Anregung, Unterhaltung bieten. Ich hoffe, es ist mir gelungen.

Sie haben als dezidiert realistischer Autor begonnen. Würden Sie Ihre Art zu schreiben auch heute noch als "realistisch" bezeichnen?

Haslinger: Schwer zu sagen. Mir ist es nicht so wichtig, welches Pickerl (Etikett) man meinen Büchern aufpappt... Eigentlich fällt mir auch keine bessere Bezeichnung für meine Art zu schreiben ein: Realistisch, warum nicht! Unbestreitbar ist dagegen der Umstand, daß ich mich stark an amerikanischen Erzählmustern orientiere. In der deutschen Literatur ist der Erzähler traditionell dominant, in der amerikanischen Literatur tritt er mehr in den Hintergrund. Er überläßt das Feld den Figuren, die gleichsam auf einer Bühne agieren. In dieser Tradition würde ich mich auch verorten.

Haben Sie Ihre Affinität zur amerikanischen Literatur während Ihrer ausgedehnten USA-Aufenthalte entdeckt, oder rührt Ihr Flirt mit Faulkner und Co. von früheren Erfahrungen her?

Haslinger: Ich habe nie bewußt an amerikanische Vorbilder angeknüpft. Es hat sich einfach so ergeben. Ich habe meine Bücher publiziert, und irgendwann hat jemand zu mir gesagt: "Ist doch eigentlich sehr amerikanisch, wie du schreibst." Da konnte ich nicht widersprechen. Aber es war keine bewußte Entscheidung. Tatsache ist, daß mich die amerikanische Literatur schon seit geraumer Zeit fasziniert. Ich liebe Paul Auster, ich mag John Updike, ich schätze Philip Roth, und ich verehre Michael Ondaatje, obwohl man den eigentlich nicht der amerikanischen Literatur im engeren Sinn zurechnen darf.

Woher kommt die Dominanz amerikanischer Literatur auf dem Buchmarkt, was glauben Sie?

Haslinger: Das hat meiner Ansicht nach mit der Ausbildung der amerikanischen Schriftsteller zu tun. In den Vereinigten Staaten wird das Schreiben als zentrales pädagogisches Instrument betrachtet. Von der Volksschule bis zum College ­ alle Amerikaner kommen irgendwann mit den Techniken des kreativen Schreibens in Berührung. Das heißt, der Pool, aus dem sich die Kaste, der professionellen Schriftsteller rekrutiert, ist um einiges größer als der in Europa.

Gibt es auch eine österreichische Literatur-Tradition, der Sie sich zugehörig fühlen?

Haslinger: Gute Frage. Die einzige Tradition, die mir auf Anhieb einfällt, ist die "Gruppe Wespennest". Das war ein loser Verband linker Schriftsteller mit gesellschaftskritischer Stoßrichtung, die sich in den späten sechziger Jahren zusammengefunden haben, um ein Gegengewicht zur in Österreich traditionell dominanten experimentellen Literatur zu schaffen. Ich bin in den siebziger Jahren zu dieser Gruppe gestoßen und habe sie dann fünfzehn Jahre lang begleitet. Die Erfahrungen beim "Wespennest" haben mich zweifellos geprägt.

Glauben Sie an die Macht des Erzählens, Herr Haslinger?

Haslinger: Unbedingt! Ich erlebe ja selbst, wie mich Bücher fesseln können. Sie heben mich aus dem Alltagszusammenhang heraus und eröffnen mir oft neue, unbekannte Horizonte. Sie können mich packen, inspirieren, anregen. Literatur ist eine spannende Form der Kommunikation, finde ich, spannender vielleicht als das Kino, weil sie nachhaltiger, langfristiger wirkt als der Film. In die Welt des Kinos taucht man vielleicht für zwei, drei Stunden ein, dann ist die Sache erledigt. Ein Buch wirkt über Tage, oft über Wochen. Wenn ein Autor Bilder im Kopf seiner Leser zu wecken versteht, kann Literatur ein machtvolles Medium sein, vielleicht das machtvollste Medium überhaupt.

Oft verweisen derart rauschhafte Leseerlebnisse in die Tage der Kindheit, wo man mit heißem Kopf für einen Nachmittag in "Pippi Langstrumpf" oder "Robin Hood" versank. Haben Sie solche Lese-Ekstasen auch erlebt?

Haslinger: Eigentlich nicht. Ich bin in einem Elternhaus großgeworden, in dem praktisch nicht gelesen wurde. Das einzige, was es bei uns an Lektüre gab, war die "Kirchenzeitung", die wurde jeden Sonntag von einem halbblinden Mann vorbeigebracht. Bücher existierten in unserem Haushalt so gut wie keine, allerdings hatten wir den Bauernbund-Kalender abonniert, der jährlich erschien. Ich erinnere mich, daß in einem dieser Kalender die Geschichte vom Untergang der "Titanic" abgedruckt war. Die hat mir meine Mutter vorgelesen. Da war ich sechs oder sieben Jahre alt. Diese Geschichte hat mich ungemein fasziniert.

Wann haben Sie sich ernsthafter mit Literatur zu beschäftigen begonnen?

Haslinger: Mit sechzehn oder siebzehn. Das hing mit den ersten Schreibversuchen zusammen, die ich damals unternahm, von heute aus gesehen waren es lächerliche Versuche, aber damals ließ ich mich von den unterschiedlichsten Autoren inspirieren, von Hesse und Brecht zum Beispiel, obwohl zwischen Hesse und Brecht ein beinahe unauflöslicher Widerspruch besteht, aber das verstand ich damals nicht. Ich jobbte zu dieser Zeit in einer Buchhandlung, dort kam ich gut an Bücher, es war aufregende Zeit, reich an Entdeckungen und neuen Erfahrungen.

Sie haben damals eine Menge theoretischer Literatur konsumiert.

Haslinger: Allerdings, ich habe Lukacs und Marcuse gelesen, auch in Adorno habe ich mich zu vertiefen versucht, wobei "versucht" genau der treffende Ausdruck ist, denn verstanden habe ich im Grunde nichts. Aber die Theorie der Frankfurter Schule hat mich schon damals fasziniert, das muß ich sagen.

Wie beurteilen Sie als einer, der in die Frankfurter Schule gegangen ist, die politische Situation im heutigen Österreich?

Haslinger: Der Ruf Österreichs ist durch die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen natürlich noch mehr ramponiert worden, als er es durch die Präsidentschaft Waldheims ohnehin schon war. Österreich gilt in der Welt als ein Land, dem man nicht trauen kann, ein Land, das sich vor der historischen Verantwortung drücken will. Und ich muß sagen: Ganz zu Unrecht besteht diese Einschätzung nicht. Die Werbestrategen werden jedenfalls eine Menge zu tun haben, bevor sich das Image Österreichs wieder jenem Idealbild annähert, das sie so gerne hätten: Österreich als das heitere Land Mozarts und Hermann Meiers...

Glauben Sie an die Wandlungsfähigkeit der Freiheitlichen Partei?

Haslinger: Da bin ich skeptisch. Die FPÖ würzt ihre Wahlkämpfe seit eineinhalb Jahrzehnten mit rassistischen Untertönen, ich glaube nicht daran, daß sich der Charakter einer Partei von heute auf morgen grundlegend ändern kann. Außerdem errichtet die Freiheitliche Partei, die mit Recht gegen den Filz der alten Parteien angekämpft hat, heute ihren eigenen Filz. Ganz nach dem Motto: Rot raus, blau rein. Das wirkt alles andere als vertrauenerweckend.

Und die Sozialdemokratie? Wird sie ihre Krise überwinden können?

Haslinger: Die SPÖ wird in die wahre Krise erst hineinkommen, fürchte ich. Im Augenblick scheint die Parteispitze die Dramatik der Lage noch gar nicht begriffen zu haben. Man glaubt, es genüge, lediglich ein paar Leute von der zweiten in die erste Reihe zu transferieren, und schon hätten sich die Probleme erledigt. Ein Irrtum! Die Krise der SPÖ ist fundamental: Sie hat die Arbeiter verloren ­ für eine sozialdemokratische Partei die Mutter aller Katastrophen ­ sie hat die Intellektuellen verloren, und sie hat die Jugend verloren. Die SPÖ wird einen dornenvollen Weg zurücklegen müssen.

Wie lange wird sie auf diesem Weg unterwegs sein?

Haslinger: In sieben, acht Jahren könnte sie wieder regierungsfähig sein. In kürzerer Zeit wird sich das, fürchte ich, nicht ausgehen.


DAS BUCH:
Josef Haslinger: DAS VATERSPIEL
Roman, Fischer Verlag (2000), ISBN: 3100300548.




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