"Icke binä eine alte Tenore"
MARCEL PRAWY über Michael Jackson, den Sex-Appeal von Richard Wagner und das komfortable Leben im "Hotel Sacher". Von Günter Kaindlstorfer und Klaus Kamolz.Herr Prawy, jetzt werden Sie auch noch Schauspieler. Im neuen "Tatort" spielen Sie einen alten italienischen Opernsänger. Wie legen Sie ihn an?
Prawy: Icke binä eine alte Tenore und lebe in die Altersheime. Jede Sommer icke habe gesunge an die Mare Adriatico, in Jesolo, in Lignano, einemale sogar in Grado.
Perfekt, die Rolle scheint Ihnen auf den Leib geschrieben zu sein.
Prawy: Ich hab' sie selber geschrieben, ich wollte mir ein wenig Farbe geben, obwohl es nur eine kleine Rolle ist. Und in der Maske mit dem schmalen aufgeklebten Schnurrbart bin ich praktisch nicht zu erkennen.
Karl Löbl hat seinen Abschied als Kritiker im Fernsehen eingereicht. Wird er Ihnen fehlen?
Prawy: Er hat seine Aufgabe phantastisch erfüllt, aber ich verstehe, daß er nicht mehr weitermachen will. Wir haben eine Stunde miteinander telefoniert, nachdem er seine Entscheidung gefällt hat. Er denkt über seine Stellung anders als ich über meine. Er hat gesagt: "Ich gehe, bevor ich altmodisch werde."
Empfinden Sie sich denn als altmodisch?
Prawy: Ich habe damit keine Probleme. Ich biete mich nicht an, aber solange interessante Angebote an mich herangetragen werden, sage ich den Leuten sicher nicht: Bitte, offerieren Sie mir das nicht, ich bin alt und obendrein altmodisch.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Popmusik?
Prawy: Ich schwärme nicht für Leute wie Michael Jackson, aber man muß sie ernst nehmen.
Finden Sie Michael Jackson gut?
Prawy: Gut finde ich andere Leute, Frank Sinatra, Bing Crosby und Udo Jürgens zum Beispiel. Aber auch Michael Jackson hat ohne Zweifel seine Qualitäten, ich studiere die Gründe für seinen weltweiten Erfolg.
Zu welchem Schluß sind Sie gekommen?
Prawy: Er ist der Prototyp des After-Sex-Sängers.
Das müssen Sie näher erläutern.
Prawy: Er singt für die jungen Leute, die eben miteinander geschlafen haben. Und das ist ja eine große Zahl heute, nicht wahr. Das Hauptthema der Oper ist die Zeit davor, die Werbung, das Liebeslied. Bei Michael Jackson ist das ersetzt durch die After-Sex-Musik. Wir haben es da mit einer höchst interessanten Entwicklung zu tun, man darf das nicht verachten.
Wie kommen Sie darauf, daß Jacksons Musik erst nach dem Sex ihre Wirkung entfaltet? Nach dem Sex sind die Menschen doch meistens müde.
Prawy: Sind Sie müde während des Sex?
Nein, aber nachher.
Prawy: Und wann hören Sie Jackson?
Eigentlich gar nicht.
Prawy: Schau'n Sie, jetzt werde ich Ihnen einmal erklären, was sexy Musik ist: Richard Wagner – "Tristan und Isolde". Das ist sexy Musik. Im Fall von Michael Jackson reden wir doch über einen Zwerg. Mag sein, daß er ein großer Zwerg ist, aber eben doch ein Zwerg. Wenn wir von Riesen sprechen wollen, müssen wir über Wagner reden.
Gibt es auch in der großen Oper After-Sex-Musik?
Prawy: Nein, mit dem Ende des Liebeswerbens hat Musik jeder Form ihre Substanz verloren.
Kann so etwas wie große Oper heute noch geschaffen werden?
Prawy: Die Oper ist ein Relikt der Vergangenheit. Als schaffende Kunstform hat sie seit sechzig Jahren keinen Welterfolg mehr gehabt. Mich beunruhigt das nicht besonders. In der Architektur ist es ja nicht anders: Warum werden keine Pyramiden und keine barocken Schlösser mehr gebaut? Ich will es Ihnen sagen: Weil die Zeit eine andere ist. Und trotzdem stehen wir voll Bewunderung vor den Meisterwerken der Vergangenheit.
Sind Sie es nicht leid, ein und dasselbe Repertoire aus der Vergangenheit immer wieder missionsartig zu propagieren?
Prawy: Dann schaffen Sie doch neue Welterfolge! Niemand hindert Sie daran. Überall wird gefördert und beauftragt, nur kommt halt wenig heraus. Statt abfällig von "ein und demselben Repertoire" zu sprechen, sollte man doch eher sagen: Welch ein Wunder, daß Menschen früher solche Werke geschaffen haben.
Was zählt außer Musik in Ihrem Leben?
Prawy: Gute Freunde ... und Maroni.
Warum Maroni?
Prawy: Die habe ich wahnsinnig gern. Außerdem hab' ich eine grenzenlose Obsession für Windbäckerei. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch der Welt, der das Recht auf Windbäckerei vertraglich zugesichert bekommen hat. Gemeinsam mit Christiane Hörbiger bin ich ja Ehrenpräsident eines entzückenden kleinen Musikfestivals in Italien, in Todi in Umbrien. In meinem Vertrag steht, daß im Fall einer Meinungsverschiedenheit der beiden Ehrenpräsidenten meine Meinung gilt – und es steht auch drin, daß mein Vertrag nur Gültigkeit hat, wenn die Konditorei gegenüber dem Theater Windbäckerei führt. Voriges Jahr komme ich in Todi an und sehe keine Windbäckerei in der Auslage ...
... worauf Sie als Ehrenpräsident sofort zurückgetreten sind.
Prawy: Ich hab' gedacht, ich reise in der Früh gleich wieder ab. Aber am anderen Morgen war die Windbäckerei Gott sei Dank wieder da. Übrigens habe ich jetzt vom Helmut Zilk zweihundert Stück Windbäckerei gekriegt, als ich in seiner Sendung "Lebenskünstler" eingeladen war.
Apropos Zilk: Halten Sie ihn für einen Spion?
Prawy: Blödsinn, dafür ist er viel zu ehrlich. Außerdem spricht er zuviel.
Haben Sie je Kontakt mit einem Geheimdienst gehabt, Herr Professor?
Prawy: Nie, aber ich werde Ihnen was Lustiges erzählen. Als ich 1955 das Musical nach Wien gebracht habe, hat man gesagt, ich sei ein amerikanischer Agent, weil ich die österreichische Kultur mit diesem Schmarrn zersetzen will.
Als Amerika-Liebhaber müßten Sie die Causa Clinton/Lewinsky verfolgt haben. Was sagen Sie dazu?
Prawy: Schau'n Sie, der Clinton ist auch nach seiner Verfehlung bei den Amerikanern noch ungeheuer populär. Ich will Ihnen sagen, warum. Die ganze Welt liebt an berühmten Leuten nicht die Perfektion, sondern die Fehler. Der große Richard Tauber hat die hohen Töne nicht beherrscht, und alle haben immer darauf gewartet, wie er sich diesmal um sie herumschwindeln wird. Was Clinton betrifft, sagt so mancher: Was soll's, dieselben Sünden begeh' ich doch auch.
Ließe sich aus dem Stoff eine Oper machen?
Prawy: Nein, für eine gute Oper ist Miss Lewinsky leider zu uninteressant. Die arme Frau bringt jetzt nicht einmal ihr Buch ordentlich an, weil der Starr-Report schon alle Details enthält. Wenn der Clinton mit der Hillary das Panscherl gehabt hätte und mit einer anderen verheiratet gewesen wäre, ja – das wäre eine phantastische Oper!
Erblicken Sie in der heutigen Welt irgendwo anders Opernstoffe?
Prawy: Nein, die Oper hat sich der Aktualität immer widersetzt. Ihre Quelle liegt in den Empfindungen des Herzens. Alle Versuche, eine Oper über die Osterweiterung der Nato zu schreiben, sind zum Scheitern verurteilt.
Sie haben sich vor einigen Jahren im Hotel Sacher einquartiert. Wie ist der Wohnkomfort?
Prawy: Hervorragend. Der Zilk hat mich in seiner Sendung gefragt, ob ich ein Lebenskünstler sei. Natürlich, habe ich geantwortet, ich lebe im Sacher und kann's mir nicht leisten. Also bin ich einer.
Haben Sie keine Wohnung?
Prawy: Doch, aber die verwende ich als Lagerraum für meine Bücher, meine Schallplatten. Wissen Sie, im Grunde bin ich ein Feind von Wohnungen. Wir lieben alle unsere Wohnungen nur, weil wir es uns nicht leisten können, im Hotel zu leben. Wenn ich daran denke, daß sich manche Leute ein Wochenendhaus in Brunn am Gebirge zulegen! Da wölbt sich der gesamte Schrecken des Lebens über einem. Ich möchte meinen Kopf, solange er funktioniert, dort einsetzen, wo ich etwas zu geben habe. Ich möchte Opern studieren und mich nicht mit verstopften Abflußrohren beschäftigen. Dazu gibt es Rezeptionen. Die ruft man an und sagt: Bitte, auf Zimmer 318 funktioniert das Klo nicht.
Erschienen in "Format", Wien, 16. November 1998.
Buchhinweis:
Marcel Prawy: MARCEL PRAWY ERZÄHLT AUS SEINEM LEBEN
Verlag Kremayr & Scheriau (1996), 336 Seiten, ISBN: 3218006244.
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