Suche:
zurück zur Übersicht
Götz Aly: UNSER KAMPF – 1968
S. Fischer Verlag, Frankfurt (2008), 256 Seiten, ISBN-10: 3100004213

Götz Aly: Unser Kampf - 1968

Rezension von Günter Kaindlstorfer

Keine Frage, der Mann will provozieren. Die 68er-Revolte, so Götz Aly in seinem heißdiskutierten Buch, sei ein Spätausläufer des totalitären 20. Jahrhunderts gewesen, zumindest in Deutschland. In ihrem romantisch-messianischen Furor, in ihrem antibürgerlichen Affekt, auch in ihren anti-israelischen Ressentiments seien die 68er der Generation ihren hitler-begeisterten Eltern näher gewesen als ihnen heute lieb sein kann. Rudi Dutschke als eine Art antiautoritärer Goebbels - der Vergleich tut weh. Entsprechend groß ist die Aufregung in Deutschland. Im sogenannten kritischen Feuilleton ist Götz Aly für seine Abrechnung mit den 68ern böse abgewatscht worden.

OT Götz Aly: "Wir sind als Antiautoritäre 1968 angetreten, und auch das Jubiläum verdient natürlich antiautoritäre Störungen, und ich wundere mich ein bißchen, wie meine Generations- und ehemaligen Kampfgenossen mit Bierernst und Blockwartmentalität darauf reagieren und das Buch als unpassende Störung zurückzuweisen versuchen."

Götz Aly, 1947 in Heidelberg geboren, ist selbst ein Aktivist von anno dazumal. Als Sympathisant der maoistischen KPD-AO und als Mitglied der "Roten Hilfe" hat der Historiker einige Jahre lang die vom Rauch selbstgedrehter Zigaretten erfüllte Luft linksradikaler Berliner Zirkel inhaliert. Sein Buch – eine Generalabrechnung mit der 68er-Bewegung – ist erfüllt vom Geist der Selbstkritik, auch eine Kulturtechnik, die in den späten 60ern eine zweite oder dritte Blütezeit erlebt hat.

OT Götz Aly: "Und es gibt noch etwas, was mich richtig ärgert. Ich komme aus der 68er-Bewegung und habe mich lange mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Und da kriege ich natürlich ununterbrochen Beifall, wenn ich sage: Die Ärzte haben braune Flecken, das Bundesjustizministerium, diese und jene Bank haben braune Flecken, überall dürfen Kontinuitäten aufgedeckt werden. Nur jetzt, wenn ich entsprechende Kontinuitäten auch bei den 68ern postuliere, wird plötzlich mit deutscher Spießigkeit darauf reagiert."

Man darf Götz Alys Buch nicht als vorurteilsfreie Darstellung der zeitgeschichtlichen Ereignisse lesen. Der 61jährige wollte die Feierlichkeiten zum vierzigsten Jahrestag der großen studentischen Revolution von anno 68 mit einer kleinen, polemischen Einlassung stören, nicht mehr und nicht weniger. Das ist ihm glänzend gelungen.
Vieles von dem, was Aly – wie seine Genossinnen und Genossen – noch vor 35, 40 Jahren verdammt hat, hat er inzwischen zu schätzen gelernt: das Gewaltmonopol des Staates zum Beispiel.

OT Götz Aly: "Eine Revolte, die zum Beispiel das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt hat, ist nicht emanzipatorisch. Ich war vor einigen Jahren in der Ukraine, dort habe ich eine interessante Erfahrung gemacht: wo das Faustrecht herrscht, wo der Reichere, Mächtigere, Brutalere sich ohne Probleme gegen Schwächere durchsetzt, sehnt sich jeder sofort nach mehr Staat. In der Ukraine habe ich gelernt, wie wichtig eine funktionierende Polizei für das Recht und die grundlegende Sicherheit der Menschen ist."

Die 68er, so hört man immer wieder, hätten ihr selbstgestecktes Ziel, die klassenlose Gesellschaft, nicht durchzusetzen vermocht. Sie hätten sich aber bleibende historische Verdienste erworben, indem sie die autoritären Nachkriegsgesellschaften Westeuropas freier, offener, toleranter gemacht hätten. Die Reformen Willy Brandts und Bruno Kreiskys, so wird gern behauptet, seien ohne den Rückenwind von anno 68 nicht möglich gewesen. Götz Aly teilt diese Einschätzung nicht.

OT Götz Aly: "Die deutsche Gesellschaft war seit Mitte der 60er Jahre von sich aus auf dem Weg zu Reformen, das verlief ganz unabhängig von der Studentenbewegung. Auch die sexuelle Revolution, die Erfinung der Pille, hat nichts mit der Studentenbewegung zu tun."

Eine rein rhetorische Frage: Rudi Dutschke und Co. an der Macht – wäre das eine Vorstellung, die Götz Aly behagte?

OT Götz Aly: "Um Gottes Willen! Eine ganz entsetzliche Vorstellung. Ich muß auch heute noch sagen: Ich werde lieber von Angela Merkel regiert als von Claudia Roth, einer 68er-Genossin. Ich traue meiner eigenen Generation, gerade wegen ihres utopischen Überschusses, nur in Ausnahmefällen über den Weg."

Götz Alys zum Teil blendend formuliertes Buch enthält, neben mancherlei Zuspitzungen und Übertreibungen, auch Treffendes und Bedenkenswertes sonder Zahl. Daß jetzt so viele "Autsch" schreien: vielleicht hat es ja damit zu tun, daß der Autor da und dort einen wunden Punkt getroffen hat.

 

Buchhinweis:
Götz Aly: UNSER KAMPF – 1968
S. Fischer Verlag, Frankfurt (2008), 256 Seiten, ISBN-10: 3100004213.



zurück nach oben