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Tex Rubinowitz
Foto: Hertha Hurnaus

"Das Schmierige und Schäbige ist meine Welt"

Der Humorzeichner Tex Rubinowitz über unlustige Witze, die Liebe zum Schwimmen und seine unschlagbaren Aufreißtricks. Von Günter Kaindlstorfer.

Herr Rubinowitz, sind Sie ein lustiger Mensch?

RUBINOWITZ: Überhaupt nicht. Ich bin ernst und langweilig und außerdem Anhänger der Church of Satan. Christen lachen, wir nicht. Lachen ist primitiv. Wer lacht, hat verloren. Ich verabscheue Witze. Jede zweite Provinzzeitung rückt heute schon lustige Kolumnen und Humorecken ins Blatt. Eine traurige Entwicklung, wie ich finde.

Aber Sie verdienen Ihr Geld doch selbst mit Humorzeichnungen.

RUBINOWITZ: Ich kann leider nicht anders. Außerdem sind meine Zeichnungen nur witzig auf den ersten Blick. Dahinter gähnt ein Abgrund aus Angst, Unterdrückung und Demütigung.

Wie würden Sie das, was Sie machen, nennen?

RUBINOWITZ: Ich produziere Witze. Unlustige Witze. Ich verwende absichtlich dieses abgedroschene Wort — Witze —, es bezeichnet am besten, was ich tue. Obwohl meine Witze wie gesagt nicht unbedingt lustig sind.

Wie kommt der schöpferische Prozeß bei Ihnen in Gang?

RUBINOWITZ: Ich arbeite am liebsten beim Fernsehen. Dramaturgische Stilleben wie „Derrick” oder das „Das Krankenhaus am Rande der Stadt” eignen sich am besten. Da muß man nicht hinschauen, und trotzdem ist jemand da. Sehr beruhigend. Ich nehme dann meinen Zeichenblock zur Hand und beginne zu arbeiten. Ich werfe zunächst ein paar Krakel aufs Papier, die formen sich in der Regel zu einer Figur, dann schnappe ich absurde Formulierungen aus dem Fernsehen auf und lege sie der Figur in den Mund. Die sagt zum Beispiel: „Leben in kochender Säure ist möglich”. Dann erschaffe ich eine zweite Figur, die antwortet: „Aber ohne mich”. So funktioniert das.

Sie sehen viel fern?

RUBINOWITZ: Ohne Fernsehen wüßte ich nicht, wie es draußen aussieht. Ich gehe nie aus dem Haus. Vor Menschen habe ich Angst. Ich liebe den „Bullen von Tölz” und die japanische Kinderserie „Sailormoon”.

Ihr Fernseh-Apparat scheint nicht mehr das jüngste Modell zu sein.

RUBINOWITZ: Das Problem ist, daß ich bloß einen Kanal reinkriege, das erste Programm des österreichischen Fernsehens. Macht mir übrigens nichts aus. Eine breitere Auswahl würde mich ohnehin überfordern. Eine Zeitlang haben wir in unserer Wohngemeinschaft auch das polnische und das abudhabische Fernsehen reinbekommen, aber damit ist es jetzt vorbei.

Wieso?

RUBINOWITZ: Auf dem Dachboden über uns wohnten zwei Polen, die haben eine Satellitenschüssel installiert. Da bekamen wir genau diese zwei Sender rein: Polen und Abudhabi. Jetzt frage ich Sie: Was soll ich mit solchen Programmen? Ich hätte gern richtige Sender, Pro Sieben und so, wegen der „Simpsons”, aber das hat nicht hingehauen. Jetzt sind sie übrigens wieder weg — die Sender und die Polen.

Sie sind seit fünfzehn Jahren als Humorist und Cartoonist tätig. Haben Sie in dieser Zeit eine zeichnerische Entwicklung durchgemacht?

RUBINOWITZ: Kann sein. Vor fünfzehn Jahren war ich ambitionierter, habe detailfreudiger gearbeitet und mich um originelle Perspektiven bemüht oder wie das heißt. Ich habe dann allerdings bemerkt, daß das nicht so wichtig ist. Es kommt auf die Idee an. Seit ich das erkannt habe, interessiert mich das Graphische nicht mehr so brennend.

Sie zeichnen ausschließlich mit Kugelschreiber. Warum?

RUBINOWITZ: Aus mehreren Überlegungen. Erstens ist es billiger, zweitens liebe ich das Unelegante. Die alten und ausgeleierten Kugelschreiber, die ich verwende, sondern während des Zeichnens kleine Kleckse ab. Die finde ich spannend.

Stören Sie diese Kleckse nicht, rein ästhetisch?

RUBINOWITZ: Gar nicht. Das Schmierige, Schäbige ist meine Welt. Das Staubige auch.

Wie lange brauchen Sie für einen Cartoon?
 
RUBINOWITZ: Das hängt von der Fernsehsendung ab, die gerade läuft. Ist sie einigermaßen bizarr, sprudelt er nur so, der kleine BIC. Auch meine Gefühlsverfassung spielt eine Rolle. Je elender ich mich fühle, desto besser.

Depressionen sind gut für die Kunst?

RUBINOWITZ: Absolut. Wenn man fröhlich ist, hat man andere Dinge im Kopf — Sport, Lesen, Sex. Depressionen dagegen wirken sich beflügelnd aus, zumindest bei mir.

Leiden Sie häufig unter Depressionen?

RUBINOWITZ: Eher unter Schuldgefühlen. Vor allem, wenn ich am Vorabend viel weggegluckert habe. Das ist immer wie eine an der Psyche nagende, riesengroße Ratte.

Welche Getränke „gluckern” Sie denn so weg?

RUBINOWITZ: Bier, ausschließlich Bier. Wein ist doch eher was für Christen. Ich brauche Masse. Ich will was haben für mein Geld. Ab und zu auch den einen oder anderen Absinth.

Klingt ziemlich ungesund!

RUBINOWITZ: Ich bin Alkoholiker. Das klingt jetzt makaber, ist aber die Wahrheit. Vor einiger Zeit habe ich durch meine Sucht eine temporäre Schizophrenie entwickelt, infolge massiver Entzugserscheinungen. Ich kam ins Krankenhaus. Das war schrecklich. Ich war zu dieser Zeit zwei Menschen.

Zwei Menschen?

RUBINOWITZ: Ja, einer saß nackt im Bett, und der andere war auf der Suche nach einer Schere, um den anderen abzustechen. Im „Allgemeinen Krankenhaus” in Wien mußte ich Tranquilizer schlucken. Dann bekam ich eine Gesprächstherapie, in der mir „Alkoholismus” attestiert wurde. Das hat mir einen ordentlichen Schreck eingejagt. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich, Alkoholiker wären Leute, die sich morgens mit zitternden Händen einen Zahnputzbecher Wodka hinter die Binde kippen. Im Krankenhaus hat man mir beigebracht, daß auch Bier zu Alkoholismus führen kann. Der scheinbar so harmlose Gerstensaft! 

Haben Sie Ihren Alkoholismus mittlerweile im Griff?


RUBINOWITZ: So recht und schlecht. In den letzten Wochen habe ich das Saufen wieder sein lassen, weil ich mich auf den Wiener Stadtmarathon vorbereite. Ich bin ja nicht bloß Zeichner, sondern auch Langstreckenläufer. 

Was reizt sie am Laufen?
 
RUBINOWITZ: Eigentlich nichts. Laufen ist dumpf und stumpf. Die reinste Schinderei. Man hört immer, es sei toll, weil der Körper durch die Anstrengung angeblich Endorphine ausschüttet, also diese Glückshormone. Eine infame Lüge. Ich laufe seit vielen Jahren, aber Endorphine wurden bei mir noch nie ausgeschüttet!

Okay, aber warum laufen Sie dann?


RUBINOWITZ: Wegen des Glückszustandes danach. Da fühlen sich die Beine an wie versteinerte Blutwürste, man hat Kopfschmerzen, die Zehennägel fallen einem ab, die Brustwarzen sind blutig gescheuert, aber es durchflutet einen eine gewaltige Toleranz. Und man sagt sich: Mensch, du hast es geschafft, du hast 42 Kilometer hinter dich gebracht. Das ist ein phantastisches Gefühl. Aber es kommt eben erst nach dem Laufen... Ehrlich gesagt, im Zweifelsfall ist mir Schwimmen lieber.

Sie schwimmen auch?

RUBINOWITZ: Ja, klar, ich war immer ein begeisterter Krauler. Weil sich da im Gegensatz zum Laufen das gesamte Ensemble der menschlichen Gliedmaßen austoben kann.

Wie oft schwimmen Sie?

RUBINOWITZ: Täglich, jedenfalls im Sommer. Jeden Morgen um neun ziehe ich meine siebzig monotonen Bahnen im „Schönbrunner Bad”. Ich trainiere da für das alljährliche Riddarfjärdssimningen in Schweden...

Für WAS?

RUBINOWITZ: Für das Riddarfjärdssimningen. Das ist so ein Wettkampf in der Bucht von Stockholm, ähnlich wie der Wasalauf vielleicht. Man krault eine Stunde durch die Ostsee.

Ich wußte gar nicht, daß Sie so sportlich sind.


RUBINOWITZ: Na ja, Laufen und Schwimmen bilden einen Ausgleich zu meinen beiden Berufen. Zeichnen und Fernsehen sind ja weitgehend unsportliche Tätigkeiten. Man bewegt maximal zwei Finger dabei. Außerdem kann man seine Aggressionen beim Sport gut loswerden. Kickboxen mache ich jetzt auch noch, das ist ideal. Beim Kickboxen kann man Brutalität und tänzerische Leichtigkeit miteinander verbinden – das hat eine ganz eigene Poesie.

Herr Rubinowitz, Sie haben soeben ein neues Humorbuch vorgelegt*. In diesem Werk finden sich nicht nur die ungelenksten Zeichnungen der letzten Jahre, sondern auch drei Novellen aus Ihrer Feder.

RUBINOWITZ: Ja, ich wollte meine Texte ursprünglich „Märchen” nennen, aber Herr Haffmans hat gemeint, „Novellen” klänge irgendwie blasierter.

Was hat Sie an der Novellistik gereizt?

RUBINOWITZ: Ich weiß nicht mal, was Novellen genau sind, aber es klingt so leicht, so federkielmäßig verzopft, und außerdem fällt mir das Schreiben viel leichter als das Zeichnen. Das nächste Buch soll übrigens ein Roman mit nur drei Witzzeichnungen werden. Titel hab ich schon: „Ich kam als Bittsteller und ging als Gaukler”.

Die erste Novelle Ihres jüngsten Buches beginnt mit dem Satz: „Ich saß nackt im Bett und rauchte eine.” Die zweite fängt mit der Formulierung an: „Ich saß angezogen im Bett und rauchte keine.” Raffiniert!

RUBINOWITZ: Das ist noch nicht alles. Die dritte Novelle fängt mit dem Satz an: „Ich saß im Bett und rauchte weder eine noch keine.”

Sie haben die Geschichten intertextuell miteinander verklammert?

RUBINOWITZ: So ist es.

Was für ein Verhältnis haben Sie zur erzählenden Literatur?


RUBINOWITZ: Wie viele Angehörige meiner Generation habe ich Schwierigkeiten mit dem Lesen. Das hängt mit der Reizüberflutung durch Fernsehen, Gameboy und Black Metal zusammen. Ich komme über die ersten Seiten eines Buches in der Regel nicht hinaus. Funktionalen Analphabethismis nennt man das. Ehrlich, ich könnte heute keinen Dostojewksi mehr lesen.

Wann haben Sie Ihren letzten Dostojewksi gelesen?


RUBINOWITZ: Dostojewksi habe ich nie gelesen. War bloß ein Beispiel für ein dickes Buch. Ich könnte auch Salman Rushdie nennen. Hab ich auch nie gelesen. Als ich mal ganz arm war, hat mir meine Mutter sinnloserweise den „Ulysses” geschenkt, und ein noch ärmerer Freund, der Zeichner Marcus Rattelschneck, hat mich dann gefragt, ob ich ihm den „Ulysses” xeroxieren könnte. Das möchte ich nicht noch mal erleben.

Sie waren vergangenes Jahr auch als Rockmusiker unterwegs, mit einer Band namens „Mäuse”. Welche Erfahrungen haben Sie auf Ihrer Deutschland-Tournee gemacht?

RUBINOWITZ: Ich möchte diese Erfahrung nicht missen, aber offen gestanden, es war grauenhaft, vor allem, was den Alkoholismus betraf.

Welches Instrument haben Sie gespielt?

RUBINOWITZ: Stimmband.
 
Also, Sie waren der Sänger?

RUBINOWITZ: Na ja, Sänger ist übertrieben. Krächzer wäre treffender, ich habe gekrächzt. Und geschrieen. Wenn Sie so wollen, habe ich meinen Lieblingsfilm von Ingmar Bergman in musikalische Praxis umgesetzt: „Schreie und Flüstern”.

Haben die weiblichen Fans nach dem Konzert Ihre Garderobe belagert?

RUBINOWITZ: Bei so einer Musik sind die Fans in erster Linie männlich. Und die erscheinen mit Bettfrisur, Brille und Ekzem zum Konzert, also, mit denen ist kein Staat zu machen. Außerdem tragen sie DJ-Taschen, und wer DJ-Taschen trägt, ist für mich untragbar.

Wie ist Ihr Verhältnis zum weiblichen Geschlecht?

RUBINOWITZ: Gut, glaube ich, wie zu Männern, Kindern, Tieren und Fernsehern.

Fällt es Ihnen schwer, mit Frauen in Kontakt zu treten?

RUBINOWITZ: Nein, aber die Frage stellt sich im Augenblick nicht. Ich bin gebunden und verspüre kein Bedürfnis nach weiteren Damenbekanntschaften.

Wie war das früher?

RUBINOWITZ: Ich lebe ja sehr zurückgezogen, neige aber mitunter zu spontanen Aktionen. Vor vier Jahren, als ich noch solo war, habe ich mal eine verrückte Sache gemacht: Ich habe an einem einzigen Abend zehn Frauen angesprochen, in einem netten Trink- und Musiklokal, das ich damals gern frequentiert habe. Ich bin einfach nach Art eines Trendforschers an die verschiedenen Tische getreten und habe gefragt: „Tschuldigung, sind Sie solo?”

Und? Wie haben die Frauen reagiert?

RUBINOWITZ: Positiv. Die meisten haben gelacht, und dann hat sich meistens ein Gespräch ergeben, was ja das wichtigste ist. Die Frauen fanden meine Vorgehensweise sympathisch, weil sie ehrlich war.

Wie viele Ihrer Gesprächspartnerinnen waren alleinstehend?

RUBINOWITZ: Acht. Darunter auch meine jetzige Freundin. Das Lokal habe ich nachher nie wieder betreten.

Erstaunlich, daß Sie mit dieser Masche erfolgreich waren.

RUBINOWITZ: In der Tat, es war ein sensationeller Erfolg. Zwei Tage später bin ich mit mit meiner Freundin in die „Flitterwochen” geflogen, nach Helsinki.

Helsinki? Finden Sie das romantisch?

RUBINOWITZ: Total. Die Finnen sind das zivilisierteste Volk der Erde. Die lachen nicht und halten die Klappe. Der beste Kaffee der Welt wird in Finnland gebraut, total dünn, ganz nach meinem Geschmack. Die Wurstbrote sind exquisit, und Suppenteller werden als Aschenbecher benutzt. Manchmal auch umgekehrte Blumentöpfe — man ascht einfach in das kleine Loch am Boden. Finnen rauchen jede Nation unter den Tisch. Ein sonderbares Land. Wo sonst kann man zum Beispiel mitten in der Nacht einen Regenbogen bestaunen?

Sie würden Finnland als Flitterwochen-Destination empfehlen?

RUBINOWITZ: Absolut. Es gibt nichts Exquisiteres, als mitten in der Nacht unter einem Regenbogen zu sitzen und ein Wurstbrot zu genießen.

ERSCHIENEN in: „Der Standard“, 15 Mai 1999.


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