Paul Mason: „Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie“, aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Suhrkamp-Verlag, Berlin, 430 Seiten
Paul Mason: Postkapitalismus
Rezension von Günter KaindlstorferDeutschlandfunk, Andruck, Juni 2016
Paul Mason fackelt nicht lange herum. Dem Kapitalismus, so befindet er, wird über kurz oder lang das Sterbeglöckchen läuten. Alle Therapieversuche vermögen dem Moribunden nicht mehr auf die Beine zu helfen, von Schäubles alemannischer Austeritäts-Kur bis zur Therapie des ultrabilligen Geldes, mit der es Dr. med. Draghi versucht.
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„Die langfristigen Aussichten für den Kapitalismus sind schlecht...
... hält Mason in seinem Krankenbulletin fest:
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„Die OECD erwartet, dass das Wachstum in den entwickelten Ländern in den nächsten fünfzig Jahren schwach bleiben wird. Die Ungleichheit wird um vierzig Prozent zunehmen. Selbst in den Entwicklungsländern wird das Wachstum bis 2060 zum Erliegen kommen.“
All das, was kapitalismuskritische Unkenrufer schon lange prophezeien, wird Paul Masons Einschätzung nach über kurz oder lang auch eintreffen. Das System wird selbst in den entwickelten Ländern nicht mehr in der Lage sein, Massenwohlstand zu gewährleisten; Verteilungskämpfe und politische Extremismen werden zunehmen, die Automatisierung wird Millionen und Abermillionen Arbeitsplätze vernichten, und die Versuchung des sich derzeit noch sozialliberal gebenden Establishments, die bestehende Ordnung mit autoritären Mitteln aufrechtzuerhalten, könnte irgendwann ins Diktatorische hinüberkippen. Dazu kommen ökologische Probleme wie die Erderwärmung und das Zurneigegehen der natürlichen Ressourcen, die weitere Migrationswellen befördern und die Krise noch ein gutes Stück zuspitzen werden. Das heißt: Wenn es nach Masons Prognosen geht, könnte es noch ziemlich ungemütlich werden im 21. Jahrhundert.
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„Deshalb möchte ich eine Alternative vorschlagen: Zunächst sollten wir die Globalisierung retten, indem wir den Neoliberalismus beseitigen. Anschließend retten wir den Planeten – und ersparen uns Wirren und Ungleichheit – indem wir den Kapitalismus überwinden.“
Das ist mal eine Ansage. Paul Mason hat viele Jahre lang als Wirtschaftsjournalist für die BBC und „Channel 4“ gearbeitet – entsprechend flott und leider auch unterkomplex formuliert er seine Thesen. Den entscheidenden Input für den Untergang des Kapitalismus liefert in Masons Augen das herrschende Wirtschaftssystem selbst: die modernen Informationstechnologien, die der Kapitalismus hervorgebracht hat, werden ihm demnächst sein eigenes Requiem singen. Die Open-Source-, die Open-Access- und die Open-Content-Bewegungen, die das Internet revolutioniert haben, diese Bewegungen werden Eigentumsrechte zunehmend überflüssig machen, prognostiziert Mason. Und auf genau die gleiche Weise werden die neuen Informationstechnologien auch andere Gegenstände des täglichen Lebens gratis oder so gut wie gratis zugänglich machen. Wer sich sein Auto oder ein neues, schickes Eigenheim im 3D-Drucker ausdruckt, braucht dafür keine namhaften Summen mehr hinzublättern. Paul Mason ist sich sicher: Digitalisierung und avancierte Informationstechnologien untergraben die tragenden Säulen des Kapitalismus.
ZITAT:
„Der wesentliche innere Widerspruch des modernen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit kostenloser, im Überfluss vorhandener Allmendeproduktion und einem System von Monopolen, Banken und Regierungen, die versuchen, ihre Kontrolle über die Macht und die Informationen aufrechtzuerhalten. Es tobt ein Krieg zwischen Netzwerk und Hierarchie.“
Vieles von dem, was Paul Mason in seinem Buch postuliert, hat man so oder ähnlich schon in den digitalromantischen Verlautbarungen eines Jeremy Rifkin gelesen. Im überschwänglichen Cyber-Enthusiasmus, den Mason an den Tag legt, scheint er auch von gewissen Vorstellungen der Piratenpartei nicht allzu weit entfernt zu sein. Als Agent der historischen Veränderung wird Masons Einschätzung nach nicht mehr die Arbeiterklasse fungieren, wie noch die Linke des 20. Jahrhunderts geglaubt hat, sondern der „gebildete und vernetzte Mensch des Computerzeitalters“. Planwirtschaft und Markt sind out, intelligente Netzwerk-Strukturen in.
ZITAT:
„Eine auf Wissen beruhende Volkswirtschaft kann aufgrund ihrer Tendenz zu kostenlosen Produkten und schwachen Eigentumsrechten keine kapitalistische Volkswirtschaft sein.“
Ein unerschöpfliches Angebot an kostenlosen Gütern wird ein neues Wirtschaftssystem hervorbringen, hofft Mason, der sich selbst als „radikalen Sozialdemokraten“ sieht. Die „Sharing Economy“ des Internet – die zur Zeit beispielsweise in der Netz-Enzyklopädie Wikipedia am Werk ist – wird zunehmend auch das sonstige Wirtschaftsleben bestimmen. Dazu kommen kooperative Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke, die die globale Ökonomie vollständig umkrempeln werden. Und wovon leben die Menschen in einem System, in dem Erwerbsarbeit so gut wie abgeschafft ist? Von einem bedingungslosen Grundeinkommen natürlich.
Erfrischend an der konkreten Utopie, die Paul Mason in seinem 430 Seiten starken Buch formuliert, ist der zupackende Optimismus, mit dem der britische Wirtschaftsjournalist ans Werk geht. Die Zukunft muss nicht unbedingt düster sein, was immer Günther Anders und andere Repräsentanten eines zeitgenössischen Chiliasmus postuliert haben mögen. Dennoch: Wirklich zu überzeugen vermag der britische Postkapitalismus-Apostel mit seinem Buch nicht. Erstens, weil dem Kapitalismus ohne weiteres zuzutrauen ist, dass er sich – wie früher schon des öfteren – am eigenen Schopf aus der Misere zieht. Zweitens, weil Masons Utopie auf Prämissen beruht, die oft nicht mehr sind als blosse Behauptungen – dass die Prinzipien der Sharing Economy irgendwann auf die materielle Produktion übergreifen werden zum Beispiel. Und drittens, weil Mason naiverweise annimmt, dass die Nutznießer der bestehenden Ordnung die revolutionären Transformationen, die dem sympathischen Briten vorschweben, ohne nennenswerten Widerstand über sich ergehen lassen werden. Dies allerdings wäre das erste Mal in der Geschichte, dass die herrschenden Mächte ihrer Kaltstellung mit wohlwollender Passivität begegneten.
So schwungvoll Masons Buch auch geschrieben ist und so anregend, erfrischend und bedenkenswert einige seiner Thesen sind, letztlich betreibt Paul Mason etwas, das man als kritischer – und vor allem selbstkritischer – Theoretiker eher nicht betreiben sollte: wishful thinking.
Paul Mason: „Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie“, aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Suhrkamp-Verlag, Berlin, 430 Seiten
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