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André Heller

"Jetzt geht´s ans Eingemachte"

ANDRÉ HELLER über seine Bespitzelung durch die FPÖ, seine Begegnungen mit Andy Warhol und Helmut Qualtinger und die politische Situation in Österreich. Von Günter Kaindlstorfer.

Wie fühlt man sich als Spitzelopfer?

Heller: Ich bin nicht überrascht von den Entwicklungen der letzten Wochen, ich habe eine realistische Einschätzung von dem Land, in dem wir leben. Ich beschäftige mich seit bald zwanzig Jahren mit dem System Haider und dem Wirkungskreis dieses Mannes, und ich habe beobachtet, wie die Gürtellinie in den letzten Jahren immer tiefer und tiefer sinkt und schön langsam unter den Schuhsohlen ankommt. daß eine Führerbewegung sagt, Gegner, Querdenker, Kritiker brauchen wir nicht, die müssen wir entsorgen, überrascht mich nicht. Und daß eine der Methoden dabei die Recherche nach belastendem Material ist, erschien mir ziemlich logisch.

Klingt ziemlich abgeklärt.

Heller: Die Tatsache der bloßen Bespitzelung nehme ich relativ gelassen hin. Mir hat allerdings immer die Vorstellung Angst gemacht, daß die freiheitlichen Verbindungsleute im Polizeiapparat etwas Kriminelles unternehmen könnten, um mich zu kriminalisieren. Und Herr Kleindienst ­ der einstige FPÖ-Polizist, der die ganze Affäre auffliegen ließ ­ hat mir bestätigt, daß diese Angst nicht einmal so unrealistisch ist.

Worum geht es da? daß ihnen die Polizei Drogen unters Bett schmuggelt?

Heller: Um etwas in der Art. Die bezahlen einen Dealer, und der sagt aus, er habe mir Rauschgift verkauft, und zwei Stunden später stürmen fünf Polizisten meine Wohnung und finden im Klavier oder hinter dem Nachtkästchen Heroin oder, was weiß ich, Kinderpornos. Herr Kleindienst hat mir bestätigt, daß es durchaus zu den Usancen der Polizei zählt, sich Indizien oder Beweise bisweilen selber zu beschaffen.

So etwas war in Österreich bisher unmöglich. Ist Ihnen das nicht unheimlich?

Heller: Es sollte den Wählern der FPÖ und der ÖVP unheimlich sein. Wir dürfen ja keinen Augenblick vergessen, daß es Wolfgang Schüssel war und ist, der eine unmoralische Gruppierung wie die FPÖ an die Schalthebel der Macht gebracht hat. Schließlich ist es ein Unterschied, ob eine solche Gruppierung in Österreich bloß existiert, oder ob sie in der Regierung sitzt. daß die Freiheitlichen jedenfalls so schnell darangehen können, das Land umzukrempeln, sollte einige maßgebliche Herrschaften allmählich nervös machen. Da geht's doch nicht nur darum, daß der Heller bespitzelt wurde, ein Mann, von dem viele sagen, mein Gott, der ist uns unsympathisch, vernichtet's ihn ruhig, nein, da geht es um Eingriffe in das Leben aller. Wenn Journalisten, Politiker und Menschenrechtsaktivisten bespitzelt werden, kann sich niemand mehr sicher fühlen. Jetzt geht es ans Eingemachte.

Im Augenblick richtet sich das Augenmerk ausschließlich auf das Innenministerium und die Polizei. Der grüne Abgeordnete Peter Pilz ortet aber auch andere Problemstellen in Sachen Datenschutz, etwa im Verteidigungsministerium.

Heller: Der freiheitliche Heeresminister Herbert Scheibner verfügt über zwei großzügig dotierte Geheimdienste, und wir werden NIEMALS erfahren, was die eigentlich tun. Wir starren alle auf die Polizei, aber daß ein FPÖ-Minister einen eigenen Geheimdienst besitzt, das sollte auch die Sedierteren in diesem Land allmählich aufmerken lassen.

Soeben ist ein opulenter Bildband über Ihr Leben erschienen. Wie haben Sie sich gefühlt beim Wühlen in alten Fotokisten?

Heller: Ich hab gar nicht so viel gewühlt, das waren vor allem die beiden Herausgeber, die mich zu diesem Projekt überredet haben: die Verleger Christian Brandstätter und Wolfgang Balk. Die haben das Projekt an sich gerissen. Als ich den fertigen Bildband in der Hand hatte, fühlte ich mich zunächst an meinen eigenen Nachruf erinnert. Ich dachte, so, jetzt bist du gestorben, und ein paar wohlwollende Menschen werfen einen liebevollen Blick zurück auf deine Existenz. Aber dann hab ich mir gedacht: Ist schon merkwürdig, wie viele verrückte Dinge du in deinem Leben gemacht hast. Meine Biographie ist die Geschichte eines notorischen Feiglings, der sich ununterbrochen in mutige Situationen bringt, in denen er dann bestehen muß.

Viele Leute halten Sie weniger für einen Feigling ­ entschuldigen Sie, wenn ich das so unerverblümt ausdrücke – als vielmehr für einen Schmock.

Heller: Keine falsche Rücksichtnahme, ich weiß, was manche Leute von mir denken. Damit muß ich leben. Es hat für viele Zeitgenossen etwas Anrüchiges, daß man sich und seine Arbeit mag. Ich bin nun einmal von dem Gedanken besessen, daß ich mich lernend verwandeln möchte, daß ich mich von einem merkwürdigen Projekt zum nächsten bewege. Ich tue gern, was ich tue, damit haben manche offenbar ein Problem.

Bilderleben - André Heller (Foto: Brandstätter Verlag)Sie blicken auf die Begegnung mit Helmut Qualtinger zurück in Ihrem Buch. Wie sehen Sie den großen Vortragskünstler und Kabarettisten eineinhalb Jahrzehnte nach seinem Tod?

Heller: Helmut Qualtinger war einer der rastlosesten Ermutiger, die ich jemals getroffen habe, eine liebevoller, sanfter und hilfreicher Mensch. Er war der genialste Vorleser, den Österreich je hervorgebracht hat, ein ungeheuerlicher Kabarettist, als Schauspieler allerdings, das darf man nicht verschweigen, war er nicht ganz so ungeheuerlich.

Viele große Namen kommen in Ihrem Buch vor: David Hockney, Salman Rushdie, David Bowie. Auch Andy Warhol...

Heller: Andy Warhol war das genaue Gegenteil von mir: ein kalter, unverbindlicher Maskenmensch, immerfort ein Lächeln auf den Lippen, ein arktisches Lächeln. Für Warhol war alles "lovely", er hatte keine Feinde, keine Gegenwelt, alles fand er "bezaubernd". Daran hat er selbst natürlich keinen Augenblick geglaubt, das war eine Marketing-Masche, die es ihm ermöglicht hat, mit jedem Glamour-Girl, jedem Waffenschieber und Milliardär, den er porträtiert hat, gleichermaßen KEINE Beziehung zu haben. Andy Warhol war ein hoher Repräsentant des Zynismus. Als solcher hat er mich fasziniert.

Immer wieder geistert Ihr mittlerweile 12jährige Sohn Ferdinand durch den Bildband. Welche Bedeutung hat Ferdinand für Ihr Leben?

Heller: Ferdinand ist der große Lehrer in meinem Leben. Er hat mir etwas beigebracht, was ich vor seiner Ankunft nicht konnte: lieben.

Wie definieren Sie das?

Heller: Für mich ist Liebe, wenn man dem anderen das Beste wünscht, auch wenn es nicht das ist, was man selber will. Ich würde für Ferdinand ohne zu zögern mein Leben geben. Das klingt jetzt schrecklich pathetisch, ich weiß, aber es ist die Wahrheit. Wenn ich an die Damen meiner verschlungenen Wege denke ­ na ja, wäre mir da ein Engel erschienen und hätte gesagt: Du darfst überleben oder sie, dann hätte ich wohl um eine Bedenkzeit von dreißig Minuten gebeten. Im Falle Ferdinands ist das anders.

Klingt in der Tat pathetisch!

Heller: Ich selbst habe eine alles andere als geglückte Kindheit hinter mir, mein Vater war nicht der Vater, den ich mir gewünscht hätte. Mit Ferdinand hole ich die gelungene Kindheit nach, die ich gern gehabt hätte. Und ich versuche der Vater zu sein, den ich gern gehabt hätte.

Kommen wir noch einmal zur Politik zurück. In Umfragen verliert die FPÖ dramatisch. Vielleicht geht Schüssels Konzept ja auf ­ die Freiheitlichen durch Einbindung in die Verantwortung zu schwächen. Vielleicht ist ihr Regierungseintritt der Anfang vom Abstieg der FPÖ.

Heller: Ach, hören Sie mir auf! Wie oft ich das schon gehört habe: der Anfang vom Abstieg der FPÖ. Und nie ist was draus geworden. Versuchen wir doch in aller Ruhe zu analysieren: Nach den jüngsten Wahlniederlagen gerät die Haider-Partei in Panik, und was ist das Ergebnis? Sie schlägt erst recht radikale Töne an. Es ist immer das gleiche Muster. Es ist ein Größenwahn von Wolfgang Schüssel, wenn er glaubt, er hätte die Dinge im Griff. Da irrt er sich gewaltig.

Dieses (bisher unveröffentlichte) Interview wurde im Herbst 2000 geführt.

 



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