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Elfriede Jelinek

"Ich gehe nicht mehr aus dem Haus"

ELFRIEDE JELINEK in ihrem ersten Interview nach der Zuerkennung des Literaturnobelpreises 2004. Von Günter Kaindlstorfer.

Der Nobelpreis ist auch so etwas wie eine sportliche Veranstaltung. Ich beginne mit einer Sportreporterfrage: Wie geht's Ihnen?

Elfriede Jelinek: Das ist die Rache des "Sportstücks". Ich habe mich zu oft über Sportler lustig gemacht, jetzt bin ich selbst so etwas Ähnliches. Es ist natürlich eine große Ehre und eine große Freude, den Nobelpreis zu bekommen. Andererseits: Für jemanden, der so zurückgezogen lebt wie ich, ist das wie ein Tornado, der über einen hereinbricht. Ich bin dem überhaupt nicht gewachsen. Ich werde ganz schnell abtauchen.

Wohin?

Elfriede Jelinek: Das sag ich nicht. Ich wäre schon weg, wenn Sie nicht gekommen wären.

Wie haben Sie von der Auszeichnung erfahren? Wie läuft so etwas ab?

Elfriede Jelinek: Ich habe um halb eins einen Anruf von der Schwedischen Akademie bekommen, da wurde mir das mitgeteilt. Das glaubt man dann auch sofort, durch den schwedischen Akzent des Anrufers. Beim Büchnerpreis hatte ich noch an einen Scherz gedacht.

Einer von mehreren Namen, die in den letzten Tagen als Favoriten kolportiert wurden, war der von Friederike Mayröcker. Ganz ehrlich, haben Sie sich Chancen ausgerechnet?

Elfriede Jelinek: Nein, ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet ich den Nobelpreis bekomme, und ich bin auch nicht sicher, dass ich ihn verdiene. Wenn, dann hätte ihn Handke bekommen müssen.

Das Schreiben ist ein einsames Geschäft, das man und frau fernab der Öffentlichkeit betreibt. Betrachten Sie den Preis auch als Ermutigung?

Elfriede Jelinek: In meinem Alter muss man nicht mehr ermutigt werden, weil ich immer das geschrieben habe, was ich wollte, und auch nicht daran gedacht habe, für wen ich das mache. Der Preis ist eher eine finanzielle Beruhigung. Man muss nicht mehr übersetzen – obwohl ich das gerne mache –, man muss keine Arbeiten mehr annehmen, nur um Geld zu verdienen, man kann auch endlich einmal – das ist der größte Luxus – ein Jahr Pause machen und nachdenken und zur Ruhe kommen. Das ist für mich das Beste daran.

Es hagelt Gratulationen, der Bundespräsident gratuliert, Nationalratspräsident Andreas Khol von der ÖVP hat sich als Jelinek-Fan geoutet. Wie geht es Ihnen da? Haben Sie keine Angst vor politischer Vereinnahmung?

Elfriede Jelinek: Es lässt sich wahrscheinlich nicht vermeiden, dass das jetzt zur 'nationalen Sache' hochstilisiert wird. Ich versuche mich möglichst fern zu halten von dem ganzen Getriebe, denn in dem Augenblick, in dem man zu viel Beifall von offizieller Seite bekommt, verliert man den Biss, die Mächtigen auch zu kritisieren, und das ist immer ein wesentliches Movens meiner Literatur gewesen. Deswegen halte ich mich auch bewusst von linken Positionseliten fern. Ich habe Rudolf Scholten sehr geschätzt, den einstigen SPÖ-Kulturminister, aber ich habe mich nie zu seinen Freundinnen gezählt, weil ich meine, dass sich die Kunst fern von der Macht zu halten hat. Es ist auch Brecht aus dem Grund nicht Mitglied der Kommunistischen Partei geworden.

Dass Andreas Khol ein Fan von Ihnen ist, haben Sie das gewusst?

Elfriede Jelinek: Ich habe gehört, dass er gern ins Theater geht und dass ihm das "Sportstück" gefallen hat. Warum also nicht? It's a free country, zumindest ist es das einmal gewesen - und wird hoffentlich auch bald wieder eines sein.

Frau Jelinek, Sie waren in diesem Land immer wieder auch Anfeindungen ausgesetzt. Es hat Plakate gegen Sie gegeben, in den 90er Jahren, Plakate der Freiheitlichen Partei. Wenn Sie jetzt den Nobelpreis bekommen, verspüren Sie da auch so etwas wie Genugtuung?

Elfriede Jelinek: Ich will nicht unehrlich sein: Ein gewisses Gefühl der Genugtuung hat man schon. Aber es wiegt das nicht auf, was man in diesem Land gelitten hat. So ein Plakat ist ja fast eine Ehrung, wenn es von der von Ihnen genannten Partei kommt, aber wenn man in der größten Zeitung des Landes Gedichte liest, in denen sich "Jelinek" so schön auf "Dreck" reimt, und wenn man an andere Dinge denkt, die mir und vielen meiner Kollegen immer wieder passiert sind im Lauf der Jahre... wie soll ich sagen: Thomas Bernhard hat die Verfaßtheit dieses Landes "Geistfeindlichkeit" genannt. Das ist keine Übertreibung. Thomas Bernhard übertreibt nicht. Als dieses Rechtskartell im Jahr 2000 an die Macht gekommen ist, habe ich gesehen, dass Bernhard kein Übertreibungskünstler ist. Im Gegenteil: Er ist ein realistischer Autor.

Haben Sie keine Angst, vom Staat, von der Politik, von den Instanzen der Gesellschaft als Nobelpreisträgerin vereinnahmt zu werden?

Elfriede Jelinek: Ich werde grundsätzlich keine Ehrungen annehmen in Österreich. Ich hoffe, ich bin stark genug, diesem Druck nicht nachzugeben. Ich werde auch eine Zeit weggehen, dann wird sich das wieder beruhigen.

Haben Sie vor, zur Verleihung nach Stockholm zu reisen?

Elfriede Jelinek: Nein, das kann ich nicht, ich bin psychisch nicht in der Lage dazu. Ich kann mich solchen Menschenmengen nicht aussetzen. Ich habe meine Verlegerin Corinna Brocher gebeten, das für mich zu tun, ich werde aber eine Rede schreiben.

Und die wird Ihre Verlegerin verlesen?

Elfriede Jelinek: Ja, das denke ich.

Kommen wir auf die wirklich wichtigen Dinge zurück: Woran arbeiten Sie zur Zeit? Sie wollen untertauchen, haben Sie gesagt. Werden Sie dort auch schreiben?

Elfriede Jelinek: Ja, das kann man zum Glück überall. Ich habe jetzt den zweiten Teil von "Bambiland" fertig, "Babel", meine Arbeit über den Golfkrieg. Ich hoffe, dass das dann auch wieder im Burg- oder im Akademietheater uraufgeführt wird, wieder mit Nicolas Stemann als Regisseur. Den treffe ich morgen, aber ich muss ihn leider zu mir bestellen... Ich gehe nicht mehr aus dem Haus. Ich habe immer versucht, politische Texte zu schreiben, auch diesmal. Der Jammer ist nur, dass die Theater meistens zu schwerfällig sind, das dann sofort auf die Bühne zu bringen. In dem Fall scheint es aber zu klappen. Da bin ich sehr froh.

 

GESENDET in Ö1, am 7. Oktober 2004.

 



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