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Konrad Paul Liessmann

"Das Ende der Flapsigkeit"

KONRAD PAUL LIESSMANN über das Elend der Linken, die leeren Gesten der Political Correctness und den Zusammenbruch der Postmoderne. Von Günter Kaindlstorfer.

Im "Falter" ist eine Diskussion über Österreich und sein politisches Selbstverständnis entbrannt. Robert Menasse hat die These vertreten, daß man Jörg Haider nicht in der Tradition des Nationalsozialismus zu sehen habe, sondern mehr in jener des Austrofaschismus. Was sagen Sie dazu?

Liessmann: Ich beneide meine Kollegen, sie müssen viel Zeit haben, da sie sich so ausgiebig mit der Frage beschäftigen können: Wer oder was ist Jörg Haider? Es scheint da einen feuilletonistischen Wettlauf um die treffendste und witzigste Bestimmung dessen zu geben, was Jörg Haider angeblich ist oder nicht ist. Ich halte diese Diskussion für wenig sinnvoll. Alle diese Jörg-Bestimmungen haben irgendwo einen wahren Kern und sind irgendwo vollkommen falsch. Natürlich gibt es, da hat Menasse vollkommen recht, die noch immer nicht reflektierte Geschichte des Austrofaschismus in Österreich. Aber mit Jörg Haider hat der Klerikalfaschismus der dreißiger Jahre nicht das geringste zu tun. Ich stelle fest, daß man Haider für wichtiger, dämonischer, bedrohlicher hält, als er ist. Diese Dämonisierung ist auch eine Wurzel seines Erfolgs.

Sie plädieren für einen gelassenen Umgang mit dem F-Chef?

Liessmann: Das habe ich immer getan. Ich halte Haider für einen begabten Privinzpolitiker, mit dessen Ansichten ich in wesentlichen Punkten nicht übereinstimmen kann. Im Umgang mit ihm sind aber weder Angst noch Euphorie angebracht. Eher sollte er als Symptom jener Transformationsprozesse betrachtet werden, denen wir zur Zeit unterliegen.

Rudolf Burger hat im Rahmen der "Falter"-Debatte gemeint, die Nationswerdung Österreichs befinde sich im Stadium ihres Abschlusses. Sehen Sie das auch so?

Liessmann: Man könnte pointiert sagen: Ja, sie befindet sich im Stadium ihres Abschlusses, denn kaum ist die österreichische Nation geboren, verschwindet sie auch schon wieder. Und zwar durch den Beitritt zur EU, durch mannigfache ökonomische Verflechtungen mit Deutschland, durch die veränderte weltpolitische Lage.

Aber es gibt doch ohne Zweifel so etwas wie ein neu erwachtes Österreich-Gefühl! Ein nicht-chauvinistisches, wohlgemerkt.

Liessmann: Das gibt es in der Tat, in diesem Punkt hat sich eine gewisse Normalisierung vollzogen. Das begrüßen ja auch alle ringsherum. Ich will aber auf etwas anderes hinaus: Ich halte die laufende Debatte um die Dritte Republik für irreführend. Die Debatte müßte um völlig andere Fragen kreisen: Wie will sich Österreich demokratiepolitisch an die geänderten Weltbedingungen anpassen? Wie sieht die Zukunft der Sozialpartnerschaft aus? Was passiert mit der Neutralität? Was wird es heißen, ein Land mit eingeschränkter Souveränität im geeinten Europa zu sein? Welchen Einfluß haben die Medien auf die repräsentative Demokratie? Das sind doch die spannenden Fragen heute! Und eine Diskussion dieser Fragen wird blockiert durch das kaninchenhafte Starren auf Haiders Satz "Wir brauchen eine Dritte Republik!" Es ist doch absurd, daß sich die wesentlichen Intellektuellen eines Landes wochenlang den Kopf über das innerste Wesen Jörg Haiders zerbrechen.

Faktum ist, daß sich die Zweite Republik in einer Krise befindet. Zum Selbstverständnis dieser Republik hat es gehört, sich aus der Weltgeschichte auszuklinken, die Zweite Republik war so etwas wie ein Kammerl, in dem sich die Österreicher verbunkert haben, um den scharfen Wind der Geschichte nicht zu spüren. Damit ist es vorbei.

Liessmann: Damit ist es in der Tat vorbei.

Und wie geht's weiter?

Liessmann: Mit genau dieser Frage müßte sich eine anspruchsvolle Diskussion auseinandersetzen, die ich so sehr vermisse.

Herr Liessmann, in Ihrem Essayband "Der gute Mensch von Österreich" polemisieren Sie gegen die Vertreter der Political Correctness. Was ist Ihnen denn so unsympathisch an den sogenannten guten Menschen?

Liessmann: Ich darf Sie gleich korrigieren: Ich polemisiere nicht gegen Menschen, gegen Mensch polemisiere ich überhaupt nie, ich kritisiere bestimmte Bewußtseinsformen. Im Konkreten geht es mir um die Zerfallsprodukte, so könnte man sagen, der Linken nach 1989. Es war immer das Anliegen der Linken, sofern sie sich intellektuell betätigt hat, eine kritische Theorie der Gesellschaft zu betreiben, und meine These ist, daß nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus statt einer reflektierten Auseinandersetzung mit diesem Zusammenbruch so etwas wie ein Rückzug auf moralische Positionen stattgefunden hat, die immer mehr zu reinen Gesten verkommen sind. Selten war es so wohlfeil, ein guter Mensch zu sein. Man begnügt sich heute mit Reflexen einer leeren Anständigkeit.

Statt sich mit dem Scheitern der sozialistischen Utopie, mit dem Scheitern des sowjetischen Kommunismus auseinanderzusetzen?

Liessmann: Genau! In dem Moment, in dem sich die real existierende Alternative zum Kapitalismus, die Sowjetunion, als Schimäre erwiesen hat, wäre es für die Linke an der Zeit gewesen, ihr theoretisches Rüstzeug einer kritischen Revision zu unterziehen. Wobei ich gar nicht glaube, daß man alle Thesen etwa von Marx hätte verabschieden müssen. Im Gegenteil. Ich halte Marx nach wie vor für den begabtesten Theoretiker des Kapitalismus – theoretisch!

Die westliche Linke tut bis heute so, als hätte sie mit dem realen Sozialismus nichts zu tun gehabt. Thomas Rothschild hat soeben erst im Wespennest-Verlag einen Essay-Band veröffentlicht, in dem er behauptet, das sowjetische System hätte mit dem wahren Sozialismus nicht das geringste zu tun gehabt. Man könne als Linker getrost zur Tagesordnung übergehen und weiter gegen den Kapitalismus kämpfen, als ob sich nichts geändert hätte.

Liessmann: Verzeihen Sie, ich halte das für eine Geschichtslüge! Wir analysieren immer die Mythen und Lügen der anderen, vielleicht könnte die Linke einmal dazu übergehen, ihre eigenen Mythen und Lügen zu analysieren. Natürlich war das Denken der Linken – von den Trotzkisten bis zum linken Flügel der Sozialdemokratie einem geschlossenen und tendenziell totalitären Weltbild verpflichtet, das den bürgerlichen Rechsstaat verachtete. Und natürlich war die 68er-Linke auch ganz praktisch von der Existenz der real-sozialistischen Staaten abhängig. Auch linke Studentengruppen, die sich von der KPÖ entfernt hatten, fuhren natürlich nach Ostberlin, um dort das neue theoretische Know-How zu holen und wurden natürlich finanziert, wenn auch über Umwege, von der Volksrepublik China, und es gehörte natürlich zu Pflichtlektüre von Maoisten, daß man die "Peking Rundschau" studierte. Also, es ist einfach unsinnig zu sagen, daß es hier keine Verbindungen gegeben hätte. Es waren immer nur Einzelne aus der Linken, die sich vom realen Sozialismus distanziert hatten. Wer ist denn 1956 aus der KPÖ ausgetreten? Wer ist denn 1968 ausgetreten oder ausgeschlossen worden?

Ernst Fischer, Leopold Spira, Franz Marek zum Beispiel.

Liessmann; Das sage ich ja, Einzelfälle! Übrigens, die kommunistischen Drittweltländer waren noch einmal ein Sonderfall, die hatten sogar noch einen Sonderbonus. Denken Sie an Kambodscha! Bis die hiesige Linke draufgekommen ist, daß sich dort ein barbarischer Völkermord vollzieht, hat sie schon sehr lang gebraucht. Und auch dann hat sich die Empörung in Grenzen gehalten.

Sie meinen, die Linke hatte ein schlampiges Verhältnis zum realen Sozialismus.

Liessmann: Sie hat es noch immer!

An wen denken Sie? Auch an österreichische Schriftsteller?

Liessmann: Es ist wirklich nicht mein Job, irgendjemanden zur Vergangenheitsbewältigung aufzufordern. Das ist ja gerade das Eklige am Moralisieren. Ich stelle nur fest, daß es in der Linken eine Reihe von ungelösten Problemen gibt. Die wohlgemerkt auch nicht zu lösen sind, wenn jetzt ein paar Schriftsteller ihre kryptostalinistische Vergangenheit aufzuarbeiten beginnen. Da überschätzt man vielleicht insgesamt die Möglichkeit und Potenz von Schriftstellern. Mir wär's ja ohnehin lieber, die österreichischen Autoren würden bessere Romane und Theaterstücke schreiben als ständig in der Tagespolitik herumzudilettieren.

Sind Sie nicht zufrieden mit der Qualität der österreichischen Gegenwartsliteratur?

Liessmann: Ich habe schon den Eindruck, daß jene Autoren, die in den Medien mit ihren politischen Statements am präsentesten sind, nicht gerade die ästhetisch avanciertesten Werke verfassen.

An wen denken Sie da? An Peter Turrini? Gerhard Roth?

Liessmann: Mit Turrinis Stücken habe ich seit jeher Schwierigkeiten gehabt. Und den jüngsten Roman von Gerhard Roth halte ich für schlechterdings mißlungen.

Herr Liessmann, wie würden Sie sich denn selbst einordnen, politisch? Sie haben viel in Blättern publiziert, die man geneigt ist, der Linken zuzuordnen – im "Extrablatt", im "Freitag", im "Falter". Würden Sie sich denn selbst als einen Mann der Linken bezeichnen?

Liessmann: Das Rechts-Links-Schema hat seine Trennschärfe verloren, auch die Linke tritt heute nicht mehr für die Überwindung des Kapitalismus ein, sondern für seine Verbesserung. Bestimmte Optionen, die mir wichtig sind, gehen heute quer durch die Parteien. Etwa in Fragen der Ökologie, da sehe ich mich am besten von den Grünen vertreten. Was die Kultur- und Bildungspolitik betrifft, sind mir wiederum einige Positionen der Sozialdemokraten, aber auch – horribile dictu – jene der Volkspartei näher. Es wird immer schwerer festzustellen, was heute konservativ ist und was progressiv.

Aber die laufende Wahlauseinandersetzung in Österreich zeigt doch genau das Gegenteil: Völlig überraschend wird der Unterschied zwischen Rechts und Links wieder deutlich.

Liessmann: Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich würde nicht sagen, daß es die Linke und die Rechte nicht mehr gibt. Ich würde nur sagen, daß beide Formationen ihre großen weltanschaulichen Perspektiven verloren haben. Pointiert gesagt: Heute will niemand mehr den Kapitalismus stürzen, und niemand will mehr, auf der Gegenseite, die Errichtung des großdeutschen Reichs und die Weltherrschaft der Arier. Was den aktuellen Wahlkampf betrifft, so diagnostiziere ich eine gewisse Hysterie: Die rot-grüne Gefahr und der schwarz-blaue Bürgerblock, das sind doch Schreckgespenster, da wird hemmungslos übertrieben! So heiß wird das alles nicht gegessen werden!

Aber eine sympathische Vorstellung ist ein Bürgerblock in Österreich nicht gerade, oder?

Liessmann: Aber weil etwas wenig sympathisch ist, ruft man doch nicht den Staatsnotstand aus! Die Aufgabe des Intellektuellen kann im übrigen nicht darin bestehen, Wahlempfehlungen abzugeben.

Was werden Sie wählen am 17. Dezember?

Liessmann: Also ich will mich nicht auf eindeutige Aussagen festnageln lassen. Ich schätze es außerordentlich, daß wir in einem Land leben, in dem die Wahl geheim ist.

Herr Liessmann, ich habe bei der Lektüre Ihrer Bücher oft den Eindruck, daß in Ihrer Haltung der Welt gegenüber eine gewisse Koketterie mitschwingt, ein Hang zur Gefallsucht. Es ist Ihnen schon wichtig gut anzukommen, gell?

Liessmann: Da muß man bitte aufpassen! Was heißt "gut ankommen", was heißt "originell sein"? Ich weiß nicht, ob ich damals, als ich im "Standard" kritisch über das Lichtermeer geschrieben habe, besonders gut angekommen bin. Mit einer Kritik am Lichtermeer konnte man nicht gut ankommen!

Aber man fiel auf! Man wurde beachtet!

Liessmann: Natürlich, das liegt in der Natur der Sache. Wer an die Öffentlichkeit will, der will auch beachtet werden. Sonst kann er seine Thesen gleich im Freundeskreis vortragen!

Sind Sie ein eitler Mensch?

Liessmann: Wenn Sie mir sagen können, was Eitelkeit ist...

Müssen wir jetzt wirklich um eine Definition ringen? Ich glaube nicht.

Liessmann: Es ist ja nichts Schlechtes, sich über Anerkennung zu freuen. Vielleicht erzähl ich da eine kleine Anekdote: Adorno soll einmal einen Vortrag über ein gravierendes Problem gehalten haben, über die Rolle der Kunst nach Auschwitz oder etwas Ähnliches, und dann, nach dem Vortrag, ist er angeblich vom Podium heruntergestiegen und hat eine seiner Begleiterinnen gefragt: "Na, war ich gut?" Sie sehen, keinem Schreibenden, keinem Produzierenden ist der Drang zu gefallen gänzlich fremd. Vielleicht aber fehlt mir nur eine Eigenschaft des österreichischen Intellektuellen: das Selbstmitleid.

Herr Liessmann, es mehren sich die Anzeichen, daß das, was man in Ermangelung eines besseren Wortes "Postmoderne" genannt hat, im Begriff ist zu Ende zu gehen. Wie sehen Sie das?

Liessmann: Ich vertrete die These, daß die Postmoderne genau zehn Jahre gedauert hat, von 1979 bis 1989. Die beiden zeitlichen Eckpunkte sind für mich die Publikation von Lyotards Buch "Das postmoderne Wissen" 1979 und der Umbruch in Osteuropa 1989. Dazwischen lag die Postmoderne. Diese Strömung, die Ausdruck war einer neuen, unübersichtlich gewordenen Lebenshaltung, hat sich, wie Umberto Eco einmal gesagt hat, ausgezeichnet durch ein ironisches, distanziertes, spielerisches Verhältnis zur Vergangenheit. Was wir nun seit 1989 erleben, ist der Zusammenbruch des ironischen Spiels der Postmoderne unter dem Ansturm der Weltgeschichte. Völlig neue Fragen tun sich auf: Welche Projekte verfolgen wir gegenüber der Dritten Welt, gegenüber den Zivilisationen in Ostasien, welche Projekte verfolgen wir gegenüber dem Islam? Was wird aus Europa, aus Osteuropa und Rußland?

Die Welt ist wieder ernst geworden. Was bedeutet das auf dem Gebiet der Kunst?

Liessmann: Interessante Frage! Wir können beobachten, daß sich unter dem Stichwort "Neoabstraktion" oder "Neoavantgarde" in den letzten zwei, drei Jahren der Ruf nach einer "zweiten Moderne" bemerkbar macht. Das Paradoxe dabei ist nur: Die Moderne ist, im Gegensatz zur Postmoderne, eben nicht zitierbar! Wie soll man also etwas wiederholen, was nicht wiederholt werden kann? Es hat momentan wenig Sinn, die Show noch einmal überbieten zu wollen: Die Show der Moderne ist gelaufen. Es macht aber auch wenig Sinn, in der Kunst weiterhin postmodern-eklektizistisch zu verfahren, auch dieses Spiel ist gelaufen! Was also tun?

Das frage ich ja gerade Sie!

Liessmann: Die Beantwortung dieser Frage ist eher ein Problem der Künstler. Der Philosoph diagnostiziert nur. Eine neue Strömung spüre ich derzeit nicht, aber ich spüre sehr stark – sowohl auf ästhetischem Feld als auch im Bereich der Politik und der Ökonomie – eine Bereitschaft, zur Moderne zurückzukehren, die Moderne fortzusetzen, als hätte es die Irritation durch die Postmoderne nie gegeben. Denken Sie an die Metaphorik vom "Datenhighway". Ich stelle eine Rückkehr zum problematischen Fortschrittsbegriff der Moderne fest, die sich auch in der unkritischen Rede von "Modernisierung" und "Modernisierungsverlierern" zeigt.

Der Postmoderne wohnte eine gewisse Flapsigkeit inne. Diese Flapsigkeit wirkt heute nicht mehr zeitgemäß.

Liessmann: D'accord! Die Flapsigkeit der Postmoderne ist angesichts der heutigen Probleme auf ökonomischem, ökologischem und sozialem Gebiet wohl nicht mehr adäquat. Aber es war schön, eine Zeitlang mitzuspielen, wie eine Atempause. Es war eine angenehme Müdigkeit.


DAS BUCH:
Konrad Paul Liessmann: DER GUTE MENSCH VON ÖSTERREICH
Essays 1980-1995, Sonderzahl Verlag, 272 Seiten, ISBN: 3854490828.



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