"Ich bin ein liberaler Demokrat"
MARIO VARGAS LLOSA über seinen Roman "Das Fest des Ziegenbocks", den dominikanischen Diktator Rafael Leonidas Trujillo und seine politischen Präferenzen in Europa. Von Günter Kaindlstorfer.Im Suhrkamp-Verlag ist soeben Ihr Roman "Das Fest des Ziegenbocks" erschienen. Sie beschreiben in diesem, wie ich finde, glanzvollen Buch Aufstieg und Fall Rafael Leónidas Trujillos, eines der blutrünstigsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts. Was hat Sie an der Figur Trujillo interessiert?
Vargas Llosa: Trujillo war nicht nur ein brutaler und gewissenloser Diktator, wie es viele gab in Lateinamerika, er war auch ein Komödiant, ein Clown. Er liebte Zeremonien und Ordensgepränge, er hatte eine zwanghafte Obsession für Etikette und Formen, das gab seinem Regime eine spezielle Note. Es war ein Comics-Regime, eine Mischung aus Brutalität und Farce, sehr verrückt auf gewisse Weise. Das macht die Trujillo-Ära natürlich attraktiv für einen Romancier.
Sehen Sie Trujillo als prototypischen Diktator?
Vargas Llosa: Ohne Zweifel. Er war sogar mehr als ein Prototyp. Er war der emblematische Diktator. Und zwar in dem Sinne, daß alles, was an einer Diktatur schlecht ist, auch bei Trujillo zu finden war, aber ins Extreme übersteigert, durch die Person Trujillo.
Ist es legitim, ihn mit Fidel Castro zu vergleichen?
Vargas Llosa: Es gibt Ähnlichkeiten, auch wenn die beiden eine absolut konträre politische Rhetorik verwenden. Trujillo hat sich als antikommunistischer Führer verstanden, als Verteidiger der westlichen Welt und der christlichen Zivilisation. Fidel Castro gibt den Sozialisten, den Kommunisten. Aber das ist Rhetorik, nicht mehr. In wesentlichen Dingen sind sich die beiden sehr ähnlich: Ich meine die völlige Abwesenheit von Skrupeln, ich meine die Mißachtung der Menschenrechte, ich meine die absolute Kontrolle über alle Lebensbereiche, die sie anstreben. Vielleicht ist der wichtigste Unterschied zwischen den beiden, daß Trujillo nur 31 Jahre lang regiert hat, während Castro nach mehr als vier Jahrzehnten noch immer an der Macht ist und sich bester Gesundheit erfreut.
Wie wichtig ist das Phänomen des Machismo, wenn man das "System Trujillo" verstehen will?
Vargas Llosa: Oh, das ist zentral für das Verständnis seines Regimes, der Machismo hat seiner Diktatur eine ganz besondere Note gegeben. Trujillo hat Sex als Machtinstrument benutzt, für ihn war das Geschlechtliche nicht so sehr eine Quelle des Vergnügens, er hat es vor allem eingesetzt, um seine Macht, seine Potenz zu demonstrieren. Einer der perverstesen Aspekte seiner Persönlichkeit war wohl, daß er mit den Frauen seiner Minister schlief, um sie fertig zu machen. Er ließ sich auch die minderjährigen Töchter seiner Mitarbeiter zuführen, um sie persönlich zu entjungfern. Das tat er nicht so sehr, weil er Genuß daraus bezogen hätte, es ging ihm um etwas anderes: Er wollte die ohnehin zur Kollaboration Entschlossenen noch einmal demütigen, er wollte ihnen zeigen, daß er der Chef ist, daß er ins Bett gehen kann, mit wem er will, wann immer er will. So etwas hat es meines Wissens nach in keiner anderen Dikatur gegeben. Es war Machismo in seiner schlimmsten, unappetitlichsten Ausformung.
Aber seine Minister haben mitgespielt, auch ihre Frauen, ihre Töchter haben mitgespielt.
Vargas Llosa: Sie haben sich der Macht des Diktators unterworfen. So läuft es in einer Diktatur - einer befiehlt, die anderen kuschen.
Trujillos Untertanen haben nicht nur gekuscht. Sie haben den Diktator auch bewundert, vielleicht sogar geliebt.
Vargas Llosa: Trujillo war ein populärer Diktator, das stimmt. Damit ist er kein Einzelfall: Auch andere Gewaltherrscher wurden von ihren Völkern geliebt - ein trauriges Phänomen: Nicht nur in Lateinamerika, auch in Europa sehnen sich bestimmte Teile der Bevölkerung nach charismatischen Führerfiguren, denen sie sich unterwerfen können. Diese Menschen akzeptieren es willig, zu Puppen, zu bloßen Marionetten degradiert zu werden. Das war bei Trujillo der Fall, aber das war auch bei Perron, Hitler und Franco zu beobachten.
Hannah Ahrendt hat gesagt: "Niemand hat das Recht zu gehorchen."
Vargas Llosa: Ein schöner Satz, ein hübsches Paradoxon. Ich stimme mit Hannah Ahrendt überein: Demokratische Kultur kann sich nur mit selbstbestimmten Menschen entwickeln. Aber leider gibt es ein weitverbreitetes Bedürfnis nach kritikloser Unterwerfung unter charismatische Leader-Figuren, Sie als Österreicher wissen vielleicht, wovon ich spreche. In ihrem Land blüht das kulturelle Leben, die Wiener Staatsoper, die Salzburger Festspiele sind weltbekannt, und das mit Recht. Aber Kultur ist keine Garantie dafür, daß das menschliche Bedürfnis, sich einem vermeintlich Stärkeren zu unterwerfen, verschwindet. Im Gegenteil: Einen Mann wie Haider konnte die ganze österreichische Hochkultur nicht aufhalten.
Wären Sie ein guter Diktator?
Vargas Llosa: Gute Frage. Wie kommen Sie darauf?
Hat nicht jeder Romancier etwas von einem Diktator?
Vargas Llosa: Sie meinen, weil er über das Schicksal seiner Figuren bestimmt, weil er sich in gewisser Weise zum Herren über Leben und Tod aufschwingt? Ich glaube nicht, daß das zutrifft. Und wenn es zuträfe, kämen schlechte Romane heraus. Ich versuche, meinen Figuren eine gewisse Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu geben, sonst hätte der Roman nicht die Kraft der Überzeugung, die er braucht. Es müssen souveräne Menschen agieren, und keine Puppen, sonst kommt nichts Gescheites dabei heraus. Als Leser würden Sie dann ständig das Gefühl haben, daß etwas nicht stimmt.
Wie sehen Sie die politische Situation in Peru im Moment? Sind Sie befriedigt über das schmachvolle Ende Ihres Widersachers Fujimori?
Vargas Llosa: Natürlich bin ich befriedigt über den Kollaps des Fujimori-Regimes. Ich war ein systematischer Kritiker dieses Herrn. Im Moment findet ein schwieriger Übergangsprozeß zur Demokratie statt, soeben haben Präsidentschaftswahlen stattgefunden, wie Sie wissen, Alejandro Toledo ist als Sieger daraus hervorgegangen, und ich bin vorsichtig optimistisch, was die politische Zukunft Perus betrifft. Zunächst müssen die demokratischen Institutionen wieder aufgebaut werden. Peru leidet nicht nur unter einer enormen Wirtschaftsflaute, auch die zivilen Institutionen sind zerstört, die Justiz, die politischen Parteien, auch das Militär. Es gibt eine schwere Krise, eine wirklich schwere Krise.
Als Sie 1990 für die Präsidentschaft in Peru kandidiert haben, träumten Sie von einer funktionierenden Zivilgesellschaft in Ihrer Heimat. War das nur ein Traum, oder gab¹s Fortschritte.
Vargas Llosa: Es gibt Fortschritte, aber die gehen langsam vor sich. Ich denke dabei nicht nur an das Ende Fujimoris in Peru, ich denke auch an den Regierungswechsel in Mexiko, wo nach 75 Jahren Partei-Diktatur eine endlich politische Wende stattgefunden hat. Mexiko ist ein wichtiges Land in Lateinamerika, ich glaube, das kann Modellcharakter für den gesamten Kontinent haben.
Wie würden Sie Ihre politische Position heute beschreiben? Vor zehn, zwölf Jahren haben Sie sich als "konservativer Liberaler" bezeichnet. Wie sieht das heute aus?
Vargas Llosa: Wenn Konservative Leute sind, die glauben, daß die Modelle für zukünftige Entwicklungen in den Ereignissen der Vergangenheit liegen, dann bin ich sicher kein Konservativer. Ich würde mich als Liberalen bezeichnen. Ich bin ein liberaler Demokrat. Ich glaube an politische Freiheit und an ökonomische Freiheit als unverzichtbare Ergänzung dazu, die beiden hängen zusammen.
Sie leben seit einiger Zeit in London. Wo schlägt Ihr Herz, was die britische Innenpolitik betrifft?
Vargas Llosa: Die alten Kategorien funktionieren nicht mehr wie früher. In Großbritannien unterstütze ich Tony Blair und die Labour Party. Nicht, weil sie sozialistisch wären, das sind sie nicht mehr, sondern weil sie liberale Politik mit sozialem Augenmaß machen. Ich stimme wirtschaftspolitisch mit Tony Blair bedingungslos überein: Er macht eine echte liberale Politik mit hervorragenden Resultaten.
Ob die Resultate wirklich so hervorragend sind, darüber kann man streiten...
Vargas Llosa: Der britischen Wirtschaft geht es hervorragend. Und Labour pumpt eine Menge Geld ins Bildungssystem, in die öffentliche Infrastruktur.
Wie sehen Sie die Situation in Italien? Vor einigen Wochen ist der Medien-Magnat Silvio Berlusconi an die Macht gekommen.
Vargas Llosa: Ich bin wirklich besorgt über die Situation in Italien. Daß ein Mann, der einen erheblichen Teil der Massenmedien kontrolliert, jetzt auch Ministerpräsident wird, ist ganz und gar unvereinbar. Da sehe ich eine ernste Bedrohung für die demokratischen Institutionen. Also, man wird sehr mißtrauisch beobachten müssen, was da in nächster Zeit in Italien passiert.
GESENDET in "Treffpunkt Kultur", ORF, Juni 2001
zurück nach oben