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Henning Mankell

Maputo, mon amour

Was macht der Krimi-Autor HENNING MANKELL in Mocambique? Er schreibt Bestseller und verschenkt sein Geld.
Günter Kaindlstorfer hat ihn besucht.


Henning Mankell ist schlecht gelaunt. Mißmutig schaut er in den schwarzgrauen Himmel über Maputo. Regen, nichts als Regen. Seit Tagen entladen sich schwere Unwetter über der Stadt, fette Tropfen zerplatzen auf dem Asphalt. "Wenn das so weitergeht", seufzt Mankell, "wird es noch mehr Tote geben." In den Slums der mocambiquanischen Metropole werden schon die ersten Todesopfer beklagt, dreckigbraunes Wasser hat letzte Nacht Tausende von Hütten mit sich gerissen, die Bewohner haben Hab und Gut verloren, die meisten von ihnen wissen nicht einmal, wo sie die kommende Nacht verbringen sollen. Doch das ist erst die Ouvertüre: Nach dem Abflug des österreichischen Besuchers geht das Inferno erst richtig los. Die Fernsehbilder von gewaltigen Flutwellen und in Baumkronen hockenden Menschen gehen um die Welt.

Henning Mankell, Verfasser mehrerer Weltbestseller, lebt seit fünfzehn Jahren in Mocambique. Warum ausgerechnet hier? Andere Erfolgsautoren wählen Vevey oder Monte Carlo als Zweitwohnsitz. Was treibt den 52jährigen Schweden in eines der ärmsten Länder der Welt? Dritte-Welt-Romantik? 68er-Nostalgie? Ein hartnäckiger Helfertick? "Quatsch", sagt Mankell. "Reines Kalkül. Ich habe immer gewußt: Wenn aus mir ein guter Schriftsteller werden soll, muß ich mir eine außereuropäische Perspektive suchen." Sechs bis sieben Monate im Jahr lebt Mankell im Süden Afrikas, die restliche Zeit verbringt er in Schweden. Auch in seinen Büchern hat sich der grauhaarige Mittfünfziger immer wieder mit dem Elend Schwarzafrikas auseinandergesetzt, in seinem eindrucksvollen Kinderbuch "Das Geheimnis des Feuers" etwa (Oetinger-Verlag). Da beschreibt Mankell auf nüchterne und zugleich anrührende Art und Weise das Leben eines kleinen mocambiquanischen Mädchens, dem eine Landmine beide Beine weggerissen hat. Mit Hilfe zweier Beinprothesen und einer alten Singer-Nähmaschine gelingt es der Heldin, im Leben wieder Fuß zu fassen. "Dieses Buch ist ein Hymnus auf den Überlebenswillen der afrikanischen Menschen", erklärt der Autor.

Mankell ist ein typischer Schwede. Vom Outfit her ein klein bißchen verschmuddelt (schweißnasses Hemd, fettiges Haar, Badeschlapfen), von lutherischem Arbeitsethos beseelt (35 Romane, mehrere Dutzend Drehbücher und Theaterstücke), politisch korrekt bis an die Grenze der Pedanterie. Im persönlichen Umgang gibt sich der Schriftsteller friedlich, geradezu sanft, auch wenn man das Gefühl hat, daß in seinem Inneren einiges an verdeckter Aggression brodelt. In seinen Büchern jedenfalls fließt eine Menge Blut: Arglose Menschen werden skalpiert und enthauptet, mit Salzsäure verätzt und in teuflischen Fallen gepfählt. Mag sein, denkt man beiläufig, daß der ethisch ansonsten so untadelige Romancier da eine dunkle Seite seiner Existenz auslebt.

Überaus blutrünstig geht es auch in Mankells jüngsten Thriller zu, der soeben unter dem Titel "Mittsommermord" bei Zsolnay erschienen ist: Ein pedantischer Serienkiller rächt sich für eine berufliche Kränkung, indem er ein Grüppchen jugendlicher Picknickgäste mittels schallgedämpfter Faustfeuerwaffe ins Jenseits expediert. Kommissar Wallander – den die Leser spätestens seit Mankells Bestseller "Die fünfte Frau" ins Herz geschlossen haben – nimmt mit stillem Fanatismus die Ermittlungen auf. "Mittsommermord" zählt nach Einschätzung von Kennern zu den besten Wallander-Krimis, fast scheint es, als habe Mankell die Kunst des Spannungsaufbaus im angeblich letzten aller Wallander-Krimis noch einmal auf die Spitze treiben wollen. Auch diesmal bietet der schwedische Erzähler interessante Figuren, eine raffinierte Konstruktion und jenen besorgten, sozialkritischen Tonfall, den die Freunde politisch engagierter Literatur an ihm so schätzen. Zugleich wirkt "Mittsommermord" noch um einiges perfekter, ingeniöser gestaltet als die früheren Bücher aus dieser Serie.

Das dürften die Leser auch so sehen. "Mittsommermord" nimmt in den Bestsellerlisten seit Wochen absolute Spitzenränge ein. Platz eins in Österreich und der Schweiz, Platz zwei in Deutschland. "Wenn Bücher so oft gekauft werden", erklärt Mankell, "gibt es immer ein irrationales Moment. Ich vermute, der Erfolg meiner Romane hängt stark mit der Figur von Kommissar Wallander zusammen. Die Leute identifizieren sich mit ihm, weil er ein Mensch aus Fleisch und Blut ist, kein Stereotyp wie Sherlock Holmes oder Hercule Poirot. Kurt Wallander wirkt glaubwürdig, weil er ganz und gar durchschnittlich daherkommt. Und weil er sich von Buch zu Buch ändert. Das macht ihn für das Publikum glaubwürdig."

Der schwedische Schriftsteller hat mancherlei mit seinem Helden gemein, nicht nur das Alter und die Liebe zur Oper, auch einen Hang zu ungesundem Essen und eine Vorliebe für Autos der Marke Peugeot. "Es gibt gewisse Parallelen zwischen uns", räumt Mankell ein, "aber in vielem sind wir auch sehr unterschiedlich. Wallander ist eine eigenständige Figur, das zu betonen ist mir wichtig, er denkt und handelt in vielem anders als ich."

Henning Mankell sitzt auf einem wackligen Plastikstuhl im Foyer des Avenida-Theaters von Maputo. Hier arbeitet er als Regisseur, hier bringt er gemeinsam mit afrikanischen Schauspielern eigene Performances und Stücke von Dario Fo auf die Bühne. Größtenteils aber spielt man Afrikanisches – um die nationale Identität Mocambiques zu stärken. Schritte hallen durch den Raum. Eine junge Schauspielerin stöckelt vorbei, eines von insgesamt vierzig Ensemblemitgliedern des Avenida-Theaters. Mankell grüßt, die Aktrice mit dem hochgesteckten schwarzen Haar grüßt zurück. "Sie ist großartig", flüstert er, als die junge Frau in einer der Garderoben verschwunden ist. "Eine unglaublich talentierte Schauspielerin. Sie würde auf jeder Bühne in Deutschland oder Österreich gute Figur machen. Wie die meisten Schauspieler hier." Man merkt: Das Avenida-Theater – Mocambiques einzige professionelle Bühne – ist die große Liebe im Leben des Henning Mankell. "Ich bin stolz, in diesem Haus zu arbeiten", erklärt er: "Das Avenida-Theater gehört zu den besten Bühnen Afrikas, und das behaupte nicht ich, das behaupten Leute, die etwas von der Materie verstehen."

Das Avenida-Ensemble muß gänzlich ohne Subventionen auskommen, Man ist auf den Kartenverkauf und die Einnahmen aus der theatereigenen Bäckerei angewiesen. Und auf Sponsoren. Einer der großzügigsten Geldgeber heißt Henning Mankell. "Ich verdiene mit meinen Büchern gutes Geld", erklärt er lakonisch, "dieses Geld auf kreative Weise wieder auszugeben, macht mir Spaß."

Maputo, mon amour: Henning Mankell führt ein bescheidenes Leben. Er haust in einem prunklosen Appartement im Zentrum der mocambiquanischen Metropole, die Wohnung wirkt karg und nüchtern, auf dem Höhepunkt der Regenfälle kämpft auch der Multimillionär aus Schweden mit einem undichten Dach. Mankell greift zum Kübel und läßt sich durch solche Unbillen nicht weiter beirren. Er will nicht luxuriöser leben als seine Freunde in der Stadt auch. Anspruchslosigkeit als Lebensprinzip. Henry David Thoreau und der alte Tolstoj, die Hohepriester der modernen Selbstbescheidung, hätten an einem wie ihm ihre Freude gehabt.

Mankell wären solche Vergleiche vermutlich unangenehm. "Ich will nicht zuviel Wind um meine Person machen", sagt er. "Die Journalisten interessieren sich viel zu sehr für mich. Schreiben Sie lieber über Mocambique und die Menschen hier, die sind wichtiger." Damit ist das Interview zu Ende. Henning Mankell muß wieder zur Probe. Er erhebt sich ächzend aus seinem Stuhl und stopft ein Zuckerl in den Mund. Seine Zehen fahren hastig in die Badeschlapfen. Henning Mankell führt den Besucher zum Ausgang. Als er die Tür aufstößt, entfährt ihm ein leiser Fluch: "Scheißwetter!" Der Regen ist in den letzten Stunden wieder stärker geworden.

ERSCHIENEN in "Profil" am 17. April 2000


Buchhinweis:
Henning Mankell: DAS GEHEIMNIS DES FEUERS
Kinderbuch, Oetinger Verlag (1997), ISBN: 3789142115.

Henning Mankell: MITTSOMMERMORD
Roman, Zsolnay Verlag (2000), ISBN: 3552049622.



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