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Bernhard Schlink: DIE HEIMKEHR
Roman, Diogenes Verlag (2006), 376 Seiten, ISBN: 3257065108.

Bernhard Schlink: Die Heimkehr

Roman
Rezension von Günter Kaindlstorfer



Wie gnadenlos Literaturkritiker sein können! Kaum ein Rezensent, der Bernhard Schlinks neuen Roman nicht durch Sonne und Mond geschossen hätte. Gustav Seibt, Kritiker der "Süddeutschen Zeitung", will sich bei der Lektüre durch "narratives Styropor" gefressen haben; der Rezensent der NZZ bemängelte den "konstruierten" Plot; Volker Weidermann wiederum kanzelte Schlinks Odyssee-Paraphrase in der FAZ als "Buch des Grauens" ab, als sprachlich mißglückten Kolportageroman, der in der "Endlosrille des Kitsches" hängen bleibe.

"Endlosrille des Kitsches"? Das wohl nicht. Bernhard Schlink zeigt sich im Gegenteil heftig um eine nüchterne, die Untiefen des Gefühligen konsequent umschiffende Sprache bemüht. Daß sein Roman dennoch nicht zu überzeugen vermag, hängt mit anderen Faktoren zusammen: mit der klischierten Figurenzeichnung, mit einer gewissen Überkonstruiertheit, mit ärgerlichen Unglaubhaftigkeiten da und dort.

Dabei fängt das Buch verheißungsvoll an. Der Jurist Peter Debauer erinnert sich der bukolischen Nachkriegssommer seiner Kindheit. Die durfte der vaterlose Bub aus West-Deutschland bei den Großeltern in der Schweiz verbringen. Die Eisenbahnreisen des Knaben, die beschaulichen, mit bescheidenen Abenteuern angereicherten Bubensommer am Zürichsee schildert Schlink in starken, lebensechten Farben. Eines Tages beginnt der halbwüchsige Ich-Erzähler im Fragment eines jener Groschenromane zu lesen, über deren Redaktion seine Großeltern abends am Küchentisch sitzen. Sie fungieren als Herausgeber einer Groschenroman-Reihe. Der Enkel zeigt sich fasziniert von der Schilderung einer Kriegsheimkehr: Ein deutscher Landser berichtet von seiner abenteuerlichen Flucht aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Der Bub liest den Heftchen-Roman nicht zu Ende, was er später, als Erwachsener, bereut.

Jahrzehnte später, bei einem Umzug, bekommt der Protagonist das Romanfragment wieder in die Hände - die Geschichte fasziniert ihn heute noch mehr als damals. Er erkennt eine auf Konsalik getrimmte Variante der "Odyssee" in dem Text, zudem ist er sicher: Der Landser im Heftchenroman kehrt genau in jene deutsche Industriestadt zurück, in der Debauer – was für ein Zufall – heute lebt. Der Jurist beginnt zu recherchieren: Wer ist der anonyme Verfasser des Groschenromans? Beruht die Fluchtgeschichte auf realen Erlebnissen? Wie endet die Story?

Zu diesem Zeitpunkt ahnt man längst: Der Verfasser des Romans ist niemand anderer als der in den Wirren des Weltkriegs verschollene Vater des Protagonisten. Peter Debauer, inzwischen Lektor in einem juristischen Fachverlag, macht sich auf die Suche. Sein Vater, ein Schweizer, der mit den Nazis sympathisiert und in NS-Gazetten wie dem "Reich" Hetzartikel veröffentlicht hat, lebt heute als angesehener Professor in New York. Unter dem Namen John de Baur hat der Papa in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Karriere gemacht, Kenner halten de Baur inzwischen für einen der einflußreichsten Vertreter der dekonstruktivistischen Rechtstheorie.

Obacht Anspielung, denkt der Leser: Parallelen zum Fall de Man sind unübersehbar. In den 80er Jahren wurde bekannt, daß der aus Belgien stammende Yale-Professor Paul de Man, einer der Stars der poststrukturalistischen Literaturtheorie, in der Nazizeit eindeutig faschistische Artikel in belgischen Kollaborationszeitungen publiziert hatte. Eine kontroversielle, bis heute nicht verebbende Diskussion um den 1983 verstorbenen Komparatisten war die Folge.

Daran knüpft Schlink an: Er schickt seinen Ich-Erzähler nach New York. Inkognito verschafft sich Debauer Zugang zu einer Lehrveranstaltung seines Vaters. Der Filius wird Zeuge eines halb-faschistischen Experiments, das der Professor mit seinen Studenten veranstaltet, um ihnen die archaische Brutalität der menschlichen Natur vor Augen zu führen. Etwas unglaubwürdig, das Ganze. Daß Bernhard Schlink seinen Roman mit aufdringlichen Verweisen auf die Odyssee gespickt hat, macht die Sache nicht besser.

Zugegeben, das Buch liest sich flott und flüssig, zugegeben auch, der Autor punktet da und dort mit einfühlsamen Beobachtungen, in den Schweizer Kindheitssequenzen etwa, oder in den Passagen, die den universitären Nach-Wende-Betrieb in Ostdeutschland schildern. Das allein rettet den Roman indes nicht. Bernhard Schlink hat sich schlicht und einfach überhoben. Er will zu vieles auf einmal, mit erzählerisch unzulänglichen Mitteln: dem Plot gebricht es an Glaubhaftigkeit, die Figuren bleiben schablonenhaft, ihre Gefühle bloß behauptet. Schade drum. Da wäre mehr drin gewesen. Vorausgesetzt, Schlink hätte sich mit weniger begnügt.
 

Buchhinweis:
Bernhard Schlink: DIE HEIMKEHR
Roman, Diogenes Verlag (2006), 376 Seiten, ISBN: 3257065108.



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