David Albahari: Fünf Wörter
Erzählungen aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus WittmannRezension von Günter Kaindlstorfer
Es war Hans Magnus Enzensberger, der den serbisch-jüdischen Schriftsteller David Albahari für unsere Breiten noch einmal entdeckt hat, nachdem die Verlage Zsolnay und Wieser bereits in den neunziger Jahren den einen oder anderen Titel des Autors verlegt haben, ohne große Resonanz. Erst mit den Romanen "Mutterland" und vor allem mit "Götz und Meyer" ist Albahari auch bei uns einer größeren Leserschaft bekannt geworden. Beide Titel hat Enzensberger dem Eichborn-Verlag anempfohlen.
Bei Eichborn ist jetzt auch der Erzählband "Fünf Wörter" erschienen, eine Sammlung virtuos verknappter Kurzgeschichten, in denen sich die Qualitäten der Albaharischen Prosa brennpunktartig verdichten. Die Länge der Geschichten bewegt sich zwischen zwei und zwanzig Seiten, die fast schon programmatische Erzählung "Fünf Wörter", sie hat dem Band den Titel gegeben, besteht überhaupt nur aus sechs Zeilen.
Zitat:
"Ich kenne viele Wörter, benutze aber nur wenige. Wenn man mich etwas fragt, antworte ich, wenn nicht, schweige ich. Wie viele Wörter braucht der Mensch, um auf eine jede Frage zu antworten? Zwei, drei, höchstens fünf. Man braucht die Wörter \'ja\', \'nein\', \'vielleicht\', \'keine Ahnung\'. Alle anderen sind überflüssig, vor allem, wenn man selbst keine Fragen stellt."
Albaharis Texte balancieren nah am Verstummen dahin, das Schweigen, die Stille sind stets gegenwärtig in diesen Geschichten. Faszinierend liest sich schon der erste Text des Bandes, "Der Schatten". Ein nationalistischer Schriftsteller besucht ein serbisches Städtchen, er mietet sich in einem schäbigen Hotelzimmer ein, absolviert eine Lesung in der lokalen Bücherei, dann wird er von einem jungen Mann angesprochen, der um eine Unterredung unter vier Augen bittet. Die beiden gehen ins Hotelzimmer, dort gibt sich der junge Mann als Sohn einer ehemaligen Geliebten des Autors zu erkennen. Seinet-, also des Schriftstellers wegen, sagt der Bursche, habe die Mutter einst Selbstmord begangen.
Zitat:
"Der junge Mann steckte die Hand in die Hosentasche. Das wollte ich ihnen zeigen", sagte er. Bogdan, der Schriftsteller, senkte den Blick und sah in der Hand des Mannes eine Granate. Er hatte von solchen Handgranaten gelesen: Soldaten brachten sie in den vergangenen Jahren von der Front mit und verkauften sie für wenig Geld. Mit der anderen Hand zog der Jüngling am Sicherungsstift."
Ein effektvoller Schluß: Die Detonation wird nicht mehr geschildert, Leserin und Leser wissen ohnehin, was passieren wird. David Albahari erweist sich in seinen Kurzgeschichten als Meister der Zuspitzung, vor allem aber auch: der Auslassung. Paradigmatisch dafür ist die Exilantengeschichte "Die andere Sprache", in der der seit 1994 in Kanada lebende Autor wohl auch eigene Erfahrungen verarbeitet hat. Ein bosnischer Serbe namens Zoran wandert nach Kanada aus, in die Rocky-Mountains-Metropole Calgary, in der sich, das nur nebenbei, auch Albahari niedergelassen hat. Verzweifelt versucht Zoran, Frauen kennenzulernen, irgendeine Art von Kontakt zu irgendeinem Menschen in der neuen Heimat zu finden, vergebens. Immer unerbittlicher verstrickt er sich in Isolation, eine Erfahrung, die viele Emigranten machen.
Zitat:
"Sobald er Fremden gegenüberstand, war Zoran einfach nicht imstande, etwas zu sagen, er stotterte, ruderte mit den Armen, und all sein Englisch verwandelte sich in eine klebrige Masse. Die Konsequenz: Er sprach mit niemandem mehr, außer gelegentlich mit sich selbst."
Um der Einsamkeit des Exilierten zu entfliehen, schreibt sich Zoran in eine Sprachschule ein. Die Kurse werden von der kanadischen Regierung finanziert, sie sollen Einwanderern helfen, sich rascher in der neuen Heimat zu integrieren. Zoran drückt also wieder die Schulbank. Nicht weiter verwunderlich, daß er sich in die Cindy verliebt, die sommersproßige Englischlehrerin mit den netten Lachgrübchen. Nach dem Unterricht stellt Zoran Nachforschungen an, er beginnt Cindy zu verfolgen, zu Fuß, per Auto. Eines Tages dringt er in das Haus der Lehrerin ein. In aller Ruhe inspiziert Zoran das Wohn- und das Arbeitszimmer, dann klettert er in den Wandschrank neben dem Bett der Lehrerin und macht es sich zwischen ihren Kleidern bequem. Nach einiger Zeit kommt die junge Frau nach Hause.
Zitat:
"Zoran hielt den Atem an. Er hörte Schritte: ins Schlafzimmer, wieder hinaus. Im Bad wurde Badewasser eingelassen. Dann vernahm er das Klappern von Geschirr aus der Küche, das Öffnen von Schubladen, das Zuschlagen der Kühlschranktür, Husten. Dann hörte er wieder Schritte, Cindy ging den Korridor entlang und trat ins Arbeitszimmer. Zoran hob langsam die Arme und verbarg sein Gesicht in den Händen. Früher oder später, das wußte er, würde Cindy den Schrank öffnen, er mußte bereit sein. Er versuchte, sich Cindy vor dem Wandschrank vorzustellen, aber es gelang ihm nur zur, ihr Gesicht, einen Teil ihres Gesichts zu sehen... Die Sommersprossen leuchteten im Dunkel wie Sterne, wie Gold, wie feines Glitzern auf Meereswellen. Dann verschwanden sie, und als die Schritte endlich vor der Schranktür Halt machten, war Zoran schon in der Hocke, bereit zum Sprung."
Aus, Ende der Erzählung. Den Rest muß der Leser sich selbst dazudenken. Wie wird Cindy auf Zorans Attacke reagieren? Wird sie ihn rausschmeißen? Könnte, auch wenn man sich das schwerlich vorzustellen vermag, so etwas wie Liebe zwischen den beiden entstehen? Man weiß es nicht. Alles ist möglich. Den Kunstgriff, knapp vor der Klimax einer Story auszublenden, diesen Kunstgriff wendet Albahari immer wieder an in seinen Geschichten – was wesentlich zu ihrer Qualität beiträgt. 22 Texte versammelt Albaharis Erzählband. Fesselnder Lesestoff. Die besten dieser hochkonzentrierten, aufs Wesentliche zugespitzten Geschichten erinnern an Beckett, an Carver – nein, solche Vergleiche treffen den Kern der Sache nicht. Albahari hat sie auch gar nicht nötig. Er ist ein souveräner, ein ganz und gar eigenständiger Autor. Sein Ruhm wird wachsen, auch in unseren Breiten.
Buchhinheis:
David Albahari: FÜNF WINTER
Erzählungen, Eichborn Verlag (2005), 177 Seiten, ISBN: 382185751X.
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