Franzobel: Luna Park
VergnügungsgedichteRezension von Günter Kaindlstorfer
Zitat "Picknick" (gelesen von Franzobel):
"Du. Da ist das Tuch, der Korb und die Natur,
auch Mücken, Küssenkönnen und das Bäumeblühen,
auch Summt und Surrt sind da.
Es sticht das Gras, die Jungfernschaft. Du,
da sind Kaktusfeigen, Muscheln aus der Dose,
angefaulte Äpfel schillern Du und da
und der Nachtisch lockt die Bienen an,
Ameisen verspritzen sich, und auch
die Sonne schmilzt. Duda,
weil keine Grille sang.
Es zirpte."
Als "Turnübungen in Sachen Syntax" will Franzobel seine Gedichte verstanden wissen, als lyrische Fieberschübe, die sich, wenn\'s nach dem Dichter geht, allesamt auch zum Vertonen und zum Singen, gar zum Beten eignen sollen. Seit zwölf Jahren erprobt sich Österreichs vielleicht fidelster Avantgarde-Poet seit H.C. Artmann jetzt schon als Lyriker viele seiner poetischen "Fieberschübe" sind höchst realen Fieberzuständen entsprungen, gesteht Franzobel.
OT Franzobel: "Die ersteren Gedichte waren auch so, dass ich mich in eine Art Dichtungsklausur zurückgezogen habe... Die letzten Gedichtzyklen sind meist entstanden, wenn ich krank gewesen bin... dahindelirieren... diese paar Tage habe ich das Gefühl, das Bewusstsein zieht sich in eine Höhle zurück und kratzt dort ein bisschen... wie Höhlenmalereien... in kurzen Wachphasen zwischen Zwiebackessen und Teetrinken.... die sich dann allmählich zu gedichtartigen Gebilden formieren."
Bisweilen geht es unerhört zotig zu in Franzobels lyrischem Schaffen. Unüberhörbar: Des Dichters Präferenz für üppige Formen weiblicher Erotizität.
Zitat "Dicke Titten" (gelesen von Franzobel):
"Dicke Titten Die dicken Titten... wia die Fritatten, die hängan in Tee... die hängen, oje."
"Franzobel ist die Vollendung und die Vollstreckung Ernst Jandls", so hat der österreichische Autor Alois Brandstetter die lyrischen Qualitäten des 36jährigen einmal auf den Punkt gebracht. Besser kann man es nicht ausdrücken. Ernst Jandl sei tatsächlich einer seiner poetischen Hausgötter, bekennt Franzobel.
OT Franzobel: "Naja, ich bin mit Jandl sozialisiert worden. Jandl ist die lyrische Bibel für mich... als österreichisches Schulkind kommt man heute gar nicht um Jandl herum. Meine Sprache ist durchdrungen und durchwachsen und vielleicht auch vergiftet mit Jandlscher Syntax... wie auch die Romantiker... Hölderlin und die Expressionisten wichtig für mich sind, so ist halt Jandl der zeitgemäßeste von denen."
Zitat "Blunzengröstl" (gelesen von Franzobel):
"Blunzengröstl essen, Kistlbrunzen müssen,
Blunzengröstl essen, Blunzenkistl müssen,
Brunzen brunzen, Gröstlkistl essen müssen,
Brunzen blunzen, Kistl müssen, Gröstl essen,
Blunzen essen, brunzen müssen, Köstl. Köstl."
Wie Jandl und Artmann experimentiert auch Franzobel in seinen Gedichten mit dialektalem Sprachgut. Worte wie "Blunzen" oder "Brunzen" erschließen sich dem Lyrik-Freund, der Gedicht-Liebhaberin nördlich des Weißwurst-Limes wohl nur in Ausnahmefällen. Deshalb die Frage an den Dichter: Was ist das eigentlich, ein Blunzengröstl?
OT Franzobel: "Blunzengröstl ist quasi eine zergatschte Blutwurst... Es hat ein bissel was vom "Rheinischen Himmelreich"... man kriegt kleine Blutwurstscheiben... die Euromünzen... eine Scheibe Blutwurst... "Brunzen" bedeutet Wasserschlagen oder Pullern oder Pissen."
Pullern und Pissen, Brunzen und Schlunzen, Fressen und Saufen Franzobel präsentiert sich in seinen Poemen als Liebhaber von Derbheiten und Vulgarismen aller Art. Woher kommt seine Vorliebe für Orales, Anales und Fäkales, für den "sprachlichen Underground"?
OT Franzobel: "Naja, wahrscheinlich, mit Freud zu sprechen wär vielleicht in meiner Entwicklung... sinnliche Erotik, die mich immer interessiert hat, abseits dieser glatten Pornographie... Erotik, die ins Fleisch geht. Natürlich hat Gedichteschreiben auch mit Triebumleitung zu tun."
Die Triebumleitung ist in den meisten Gedichten des vorliegendes Bandes gelungen. Franzobel hat seinen Versen jede falsche Feierlichkeit, jeden Anflug von lyrischem Pathos ausgetrieben. Die Franzobelschen Poeme sind pures, lustvolles Spiel mit Sprache und Klang, mit Sinnlichkeiten, Deftigkeiten und lyrischen Kessheiten aller Art. Der Terminus "Vergnügungsgedichte" als Subtitel ist trefflich gewählt: Franzobels Gedichte sind ein Lese- und ein Hörgenuß ersten Ranges. Ob sie auch zum Beten geeignet sind? Da sei der heilige Gregor, der Schutzpatron aller Verseschmiede, vor.
Buchhinweis:
FRANZOBEL: "LUNA PARK"
Gedichte, Zsolnay Verlag (2003), 166 Seiten, ISBN: 3552052755.
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