Margit Schreiner: Heißt lieben
RomanRezension von Günter Kaindlstorfer
"Am Ende bringen wir unsere Mütter um, weil wir nicht mehr lügen wollen." Margit Schreiners Roman beginnt mit einem starken Satz. Ähnlich stark geht es dann weiter auf den folgenden 150 Seiten. Die österreichische Autorin schreitet zu einer ebenso effektvollen wie bissigen Abrechnung mit überfürsorglichen, ängstlichen, besitzergreifenden Müttern. Tenor der Schreinerschen Mutterkritik: Viele "Mammas" übten einen regelrechten Aufopferungs-Terror aus, vielen von ihnen sei es ausschließlich um die Meinung der Nachbarn und Anverwandten zu tun, nicht um das wahre Wohlergehen ihrer Kinder. Margit Schreiner, selbst Mutter einer 12jährigen Tochter, wird emotional, wenn es um dieses Thema geht.
OT Schreiner: "Da gibt\'s ja diese berühmten Aussagen von Müttern: Du musst immer eine frische Unterhose anhaben, sonst muß ich mich noch für dich genieren, wenn du einmal einen Unfall hast. Ich glaube schon, dass Mütter unter einem enormen Anpassungsdruck stehen, denn sie kriegen\'s ja zurück, von den Nachbarn, Lehrern, anderen Erziehungsberechtigten."
Wie in ihren früheren Büchern macht Margit Schreiner auch in ihrem jüngsten auf witzig-humorvolle Weise die Licht- und Schattenseiten des österreichischen, aber nicht nur des österreichischen, Kleinbürgertums zum Thema. Im ersten Teil ihres Romans steigert sich die in Linz lebende Autorin zu einem ironischen Mutterbeschimpfungs-Furor, der in seiner polemischen Rücksichtslosigkeit an die Schimpfkanonaden Thomas Bernhards erinnert. An einer der Schlüsselstellen des Buchs heißt es:
Zitat:
"Unsere Mütter haben uns nie gesehen, wie wir wirklich sind. Unsere Mütter haben uns nie beachtet. Haben uns nie erkannt. Manchmal denken wir, alles war ihnen wichtiger als wir. Jeder Nachbar war ihnen wichtiger, jede Familienfeier, jeder Eindruck, den andere von uns hatten. Wir denken, der Eindruck, den jeder einzelne Lehrer von uns hatte, war ihnen wichtiger als wir, der Eindruck, den wir auf irgendeinen Arzt machten, war ihnen wichtiger als unser Wohlbefinden. Es war ihnen viel wichtiger, was andere über uns sagen, als das, was wir selbst sagen."
Souverän hält Margit Schreiner in ihrem Buch die Balance zwischen heiter-sarkastischen und melancholischen Elementen. Eindringlich beschreibt sie das Sterben ihrer alten Mutter, den Abschied der Tochter von einer Frau, die mehr als jede andere ihr Leben geprägt hat. Am Ende wird doch noch so etwas wie Versöhnung möglich zwischen der einst so schrapnellhaften Mutter und ihrer um Selbstbestimmung ringenden Tochter. Wie nebenbei gelingt Schreiner auch das Porträt einer Generation von vorfeministischen Frauen, die sich mehr oder weniger widerstandslos auf die Rolle von Hausfrauen und Müttern festlegen ließen. Das vorherrschende Lebensgefühl dieser Frauengeneration war oder ist in Schreiners Augen: Angst.
OT Schreiner: "Ein Mensch, der sich nicht frei bewegen kann... der wird eine Grundlage an Lebensangst haben. Dann gibt\'s noch einmal eine Generation... Zweiten Weltkrieg... mehr Angst... die die Erfahrung gemacht haben: Absolute Anpassung ist notwendig, sonst können bestimmte Familienmitglieder spurlos verschwinden."
Margit Schreiner versteht sich als gesellschaftspolitisch engagierte, als auch feministisch aufgeklärte Autorin. Da muß man sie natürlich fragen: Wo bleiben die Väter in ihrem Roman?
OT Schreiner: "Ja, also in dem Buch, das ich jetzt geschrieben hab, sind die Männer überhaupt abwesend... haben die Eigenschaft zu verschwinden... früher ausschließlich zum Stammtisch, heute gehen Sie vielleicht Extremklettern oder Segeln... aber die Väter sind die großen Familienflüchter."
Margit Schreiner hat ein peppiges Buch geschrieben – ein Buch, das für hitzige Debatten sorgen sollte, nicht nur unter Töchtern und Müttern.
Buchhinweis:
Margit Schreiner: "HEISST LIEBEN"
Roman, Schöffling Verlag (2003), 152 Seiten, ISBN: 3895612731.
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