Suche:
zurück zur Übersicht
Nicolás Gómez Dávila: DAS LEBEN IST DIE GUILLOTINE DER WAHRHEITEN – AUSGEWÄHLTE SPRENGSÄTZE, aus dem Spanischen von Thomas Knefeli, Günter Maschke, Michaela Meßner und Günther Rudolf Sigl,
Eichborn-Verlag (2007), Die Andere Bibliothek, 317 Seiten, ISBN-1

Nicolás Gómez Dávila: Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten - Ausgewählte Sprengsätze

Herausgegeben von Martin Mosebach
Rezension von Günter Kaindlstorfer


Nicolás Gómez Dávila ist eine mythenumrankte Figur: Der kolumbianische Philosoph soll das feudale Haus seiner Familie in Bogota kaum je einmal verlassen haben, so will es die Gómez-Dávila-Mythologie. In seiner wohlsortierten, aus 30.000 Bänden bestehenden Bibliothek, so heißt es, habe sich der Sproß einer kolumbianischen Teppichhändler-Dynastie jahrzehntelang auf fast mönchische Weise den Freuden des Lesens und Schreibens hingegeben. Lange Zeit war Gómez Dávila eine Art Geheimtipp. Seit ihn ein handverlesenes Grüppchen deutscher Rechtsintellektueller – von Martin Mosebach bis Botho Strauß – zu einem ihrer Idole erkoren hat, interessieren sich auch die großen Feuilletons, vom "Spiegel" bis zur "Zeit", für den Kolumbianer.

Kein Geringerer als Martin Mosebach ist es auch, der in Hans Magnus Enzensbergers "Anderer Bibliothek" jetzt einen Gómez-Dávila-Reader herausgegeben hat, eine Art "Best of". Der Band ist, wie alle Bände der Reihe, buchtechnisch exquisit gestaltet, darüber hinaus bietet er einen exzellenten Einblick in das Oeuvre eines Mannes, den nicht nur Martin Mosebach als einen der originellsten Vordenker der Gegenmoderne feiert.

Der Aphorismus ist das bevorzugte Ausdrucksmittel Nicolás Gómez Dávilas. Der 1994 verstorbene Kolumbianer hat zeitlebens nur einige wenige Bände veröffentlicht, seinen vielleicht wichtigsten, "Notas", überhaupt nur im Privatdruck. Ob er mit seinen Schriften die Öffentlichkeit erreiche, war dem bekennenden Rechtskatholiken egal. Die rabiate Kritik an der Moderne mit ihrem allzu optimistischen Menschenbild steht im Zentrum von Gómez Dávilas Aphoristik.

Zitat:
"Die gegenwärtige Menschheit hat den Mythos eines vergangenen Goldenen Zeitalters durch den eines zukünftigen Zeitalters aus Plastik ersetzt."

Wie alle Konservativen traut auch Gómez Dávila dem Menschen nicht über den Weg. Was immer sich Marxisten, Republikaner, liberale Demokraten einbilden mögen: Im Innersten bleibt auch der moderne Mensch, davon ist Góméz Dávilas überzeugt, was er immer schon war – sündhaft, rücksichtslos, egoistisch, brutal.

Zitat:
"Da ich mich selbst kenne, wird mich niemand dazu bringen, die menschliche Natur freizusprechen."

Jemand, der derart denkt, wird der Demokratie wenig abgewinnen können. Die Aphoristik Gómez Dávilas strotzt vor Sottisen gegen die moderne Massengesellschaft:

Zitat:
"Der schlimmste Zustand der Gesellschaft: die Herren werden nicht zum Befehlen erzogen."

Und die Untertanen nicht zum Gehorchen: Vieles von dem, was Nicolás Gómez Dávila in epigrammatischer Verknappung von sich gibt, erinnert an die plumpsten Ressentiments europäischer Rechtsradikaler der 20er und 30er Jahre.

Zitat:
"Der städtische Asphalt bringt nur Demokraten, Bürokraten und Huren hervor."

Hätte Gómez Dávila nicht mehr zu bieten als zivilisationskritische Ausfälligkeiten dieser Art, kein Hahn würde zwölf Jahre nach seinem Tod noch nach ihm krähen. Was den Kolumbianer allerdings auch für Feingeister à la Botho Strauss interessant macht, ist die postmoderne Doppelbödigkeit seines Schreibens: Sein ganzes Oeuvre – so Gómez Dávila – bestehe lediglich aus Fußnoten zu einem imaginären Text, der das eigentliche Werk darstellt. Dieser Text ist inexistent. Lesen können wir ausschließlich die Fußnoten, also Gómez Dávilas Aphorismen, denen der Haupttext gewissermaßen inhärent ist. Eine elegante Konstruktion.

Zitat:
"Was der Schriftsteller als erstes erfindet, ist die Person, die seine Werke schreiben wird."

Als intellektuelle "Schutzpatrone" nennt Nicolás Gómez Dávila Michel de Montaigne und Jakob Burckhardt. Seine geistige Heimat, so hat der Philosoph betont, sei die katholische Kirche.

Zitat:
"Nichts besticht mich am Christentum so sehr wie die wunderbare Unverschämtheit seiner Doktrinen."

Nicolás Gómez Dávila ist ein erfrischend unzeitgemäßer Schriftsteller. Er propagiert ein radikales, zutiefst anitmodernes Denken, das derart unverfälscht wohl nur in den Herrenreiter-Milieus der reaktionären lateinamerikanischen Oberschicht überdauern konnte.

Zitat:
"Die Vergangenheit, die der Reaktionär preist, ist keine historische Epoche, sondern konkrete Norm. Was der Reaktionär an anderen Jahrhunderten bewundert, ist nicht ihre immer elende Wirklichkeit, sondern die ihnen eigentümliche Norm, die nicht befolgt wurde."

Klingt irgendwie edel. Gómez Dávila kann auch anders:

Zitat:
"Das Volk ist zivilisiert, solange es noch Spuren einer oberen Klasse mit der Peitsche in der Hand gibt."

Liest man sich durch den Gómez-Dávila-Band der "Anderen Bibliothek" fragt man sich, worauf der Nimbus des Kolumbianers eigentlich basiert. Sicher, es finden sich elegante Apercus in diesem Band, dann und wann auch erhellende Einsichten, im Großen und Ganzen aber bewegt sich Gómez Dávila mit seinen epigrammatischen Provokationen doch auf den ausgelatschten Pfaden der europäischen Zivilisationskritik. Reaktionäre Literatur soll es geben, keine Frage. Es soll ja alles irgendwie geben. Wenn schon reaktionäre Aphoristik allerdings, dann E.M. Cioran. Der ist um Klassen besser.

Buchhinweis:
Nicolás Gómez Dávila: DAS LEBEN IST DIE GUILLOTINE DER WAHRHEITEN – AUSGEWÄHLTE SPRENGSÄTZE
Eichborn-Verlag (2007), Die andere Bibliothek, 317 Seiten, ISBN-10: 382184762X.



zurück nach oben