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Madeleine Albright: MADAM SECRETARY – DIE AUTOBIOGRAPHIE
Bertelsmann Verlag (2003), 572 Seiten, ISBN: 3570007294

Madeleine Albright: Madam Secretary - Die Autobiographie

Aus dem Englischen von Holger Fliessbach und Angela Schumitz
Rezension von Günter Kaindlstorfer


Gab es jemanden, der sie nicht gemocht hat, von Slobodan Milosevic vielleicht einmal abgesehen? Schwer vorstellbar. Madeleine Albright war nicht nur eine energische Außenpolitikerin, sie verstand es auch mühelos, das internationale Politik-Jet-Set mit mütterlichem Charme und alteuropäischer Courtoisie um den Finger zu wickeln. Das Fernsehpublikum in weiten Teilen der Welt scheint die charmante Ministerin mit dem Habichtsgesicht ebenso gemocht zu haben wie ihr Förderer und Mentor Bill Clinton. Unvergeßlich Albrights Auftritt mit Vaclav Havel, unvergeßlich ihre nicht nur politischen Flirts mit Joschka Fischer. Jetzt also hat "Madam Secretary" ihre Lebenserinnerungen vorgelegt. Wer Augen hat zu lesen, der kann hier in aller Detailliertheit nachvollziehen und miterleben, wie sich die atemberaubende Karriere des tschechischen Flüchtlingsmädchen Madlenka zur ranghöchsten Frau der US-amerikanischen Geschichte vollzogen hat. madeleine Albright hat einen inspirierten Schmöker vorgelegt. Der Mensch, dem sie am meisten zu verdanken habe, schreibt die Außenministerin a.D., sei ihr Vater Josef Körbel gewesen.

Körbel, Diplomat aus dem Kreis um den legendären tschechoslowakischen Außenminister Jan Masaryk, muß ein charismatischer Mann gewesen sein. In den 30er Jahren diente er der ersten tschechoslowakischen Republik als Diplomat in Belgrad. Nach dem Einmarsch der Nazis in Prag emigriert Körbel mit seiner Familie nach London. Dort arbeitet er für die tschechoslowakische Exilregierung. 1945 kehrt die Familie nach Tschechien zurück, im gleichen Jahr wird der damals 36jährige als Botschafter nach Jugoslawien berufen. Als die Kommunisten 1948 mit einem Staatsstreich die Macht in Prag übernehmen, werden Körbel und die seinen zum zweiten Mal ins Exil getrieben. madeleine ist zu diesem Zeitpunkt elf Jahre alt. Die Familie flieht ins "Gelobte Land" der tschechischen Demokraten, in die Vereinigten Staaten. Familie Körbel lebt in Armut, später in bescheidenem Mittelschicht-Wohlstand. Ihr Vater, schreibt Madeleine Albright, habe ihr von Anfang an eine fundamentale Aversion gegen Totalitarismen aller Art eingeipmft. Um sie zu verstehen, betont Clintons Außenministerin, müsse man ihren Vater verstehen.

Zitat:
"Ich stelle mir immer vor, daß anderer Leute Väter über weniger ernste Dinge wie zum Beispiel Sport reden. Mein Vater redete mit mir über Geschichte und Außenpolitik, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Seine Überzeugungen wurden nach und nach die meinen."

Madeleine Albright wächst in Denver/Colorado auf. Ihre Eltern kultivieren – wie Emigranten es tun – einen zutiefst europäischen Lebensstil: Papa Körbel bringt seinen Töchtern tschechische und slowakische Volkslieder bei, Mama Körbel brilliert bei den bescheidenen Gardenparties, die sie bisweilen veranstaltet, mit ihren Knedliky-Kochkünsten. Tochter Madeleine sind diese Koch- und Kalorienexzesse schrecklich peinlich. Sie ist zu dieser Zeit eifrig bemüht, ein unauffälliger amerikanischer Teenager zu werden.

Zitat:
"Ich mochte nie jemanden zum Essen oder zum Übernachten bei uns einladen, aus Angst, meine Eltern könnten irgendetwas Europäisches tun und mich in Verlegenheit bringen."

Madeleines Ehrgeiz zu dieser Zeit: eine zuckersüße High-School-Maus zu sein wie alle anderen. Ihre Erfolge dabei: bescheiden, äußerst bescheiden.

Zitat:
"Weil ich eher pausbäckig und mollig war als groß und blond, konnte ich mit den eleganteren All-American-Girls nicht mithalten. Ich hatte offenkundig nicht den Stallgeruch des Denver Country Club. Da aber der Gruppendruck enorm war, MUSSTE ich zu den diversen Partys gehen. Mit anderen Worten: ich wurde zu dem Martyrium eingeladen, das ewige Mauerblümchen zu sein."

Eine Demütigung, die Madeleine Körbel mit ihren intellektuellen Leistungen mehr als wettmacht. Ihr Ehrgeiz ist es nun, zur Klassenbesten zu werden, ohne ihre Mitschülerinnen allzu sehr zu provozieren. Das scheint ihr zu gelingen, obwohl sie das Image der Streberin nie ganz loswird, wie sie schreibt. Zuletzt hat sie doch noch eine High-School-Romanze: Der junge Mann heißt Elston Mayhew, mit ihm verbringt Madeleine ein paar romantische Monate. Die junge Frau wechselt aufs College nach Wellesley und beginnt sich parteipolitisch zu engagieren.

Zitat:
"Die meisten Studentinnen in Wellesley waren Republikanerinnen. Ich war bei den College-DEMOKRATEN. Wir waren eine kleine Gruppe, aber wir fanden uns tapfer und bekennermütig zusammen."

Sie habe sich zeitlebens als Liberale mit sozialem Gewissen betrachtet, schreibt Albright. Den Feminismus der 68erinnen habe sie mit Sympathie zur Kenntnis genommen, obwohl sie selbst aus einer anderen, etwas konservativeren Generation stamme.

Zitat:
"Als ich Ende der 50er Jahre mein Studium beendete, gehörte ich zu einer Generation von Frauen, die sich noch immer unsicher waren, ob sie gute Hausfrauen und Mütter sein und gleichzeitig Erfolg im Beruf haben konnten. Vom Tag meiner Graduierung bis zum Erwachsenwerden meiner Kinder hatte ich mit dem uralten Problem zu kämpfen, die Ansprüche der Familie mit meinen akademischen und beruflichen Interessen zu vereinbaren."

Madeleine Albright hat das ganz gut gemacht: Als Bill Clinton sie zur UNO-Botschafterin und später zur Außenministerin ernennt, darf die Karrierepolitikerin stolz auf sich sein. Keine andere Frau in der Geschichte der Vereinigten Staaten hat je eine derart hochrangige Position eingenommen wie Madeleine Albright. Sie wird zur allgemein akzeptierten, zur erstklassigen Außenministerin. Ihre Leistungen sind eindrucksvoll: Albrights Politik trägt maßgeblich zur Beendigung des Völkermords im Kosovo bei, sie sucht den Ausgleich mit Jelzins Rußland, im Unterschied zur Bush-Administration bemüht sie sich zusammen mit Bill Clinton ernsthaft um eine Friedenslösung für den Nahen Osten. In dreitausend Tagen Regierungstätigkeit legt Madeleine Albright eineinhalb Millionen Reisekilometer zurück. Sie kann sich dabei nicht zuletzt auf ein enggeknüpftes Frauennetzwerk stützen, das sie sich seit ihren High-School-Tagen in Denver aufgebaut hat. Dabei habe sie sich einiges von ihren männlichen Kollegen abgeschaut, bekennt Albright:

Zitat:
"Für Männer im offiziellen Washington ist der Rückgriff auf solche Netzwerke eine Selbstverständlichkeit. Kontakte werden schon in der Schule oder auf der Universität geknüpft, oder später beim Einstieg in eine Anwaltskanzlei oder eine Tätigkeit auf dem Kapitol. Mit fortschreitender Karriere werden diese Netze natürlich immer verzweigter. Bei Spielen der Washington Redskins und beim Golf pflegt man seine Freundschaften, der gemeinsame Konsum von Drinks, Steaks und Zigarren gehört dazu. Man erweist sich Gefälligkeiten. In diskreten Anrufen oder Unterredungen werden Probleme gelöst und Geschäfte ausgehandelt."

Sie habe das so ähnlich gemacht, gesteht Albright, wenngleich sie ihre Mitstreiterinnen wohl nur in Ausnahmefällen bei den Heimspielen der Washington Redskins getroffen hat. Madeleine Albright ist ein Vollprofi, auch beim Bücherschreiben. Sie habe sichergehen wollen, schreibt sie im Vorwort ihrer Memoiren, daß die Hauptfigur des Buchs die Leserinnen und Leser nicht langweile. Das ist Madame Secretary a.D. über weite Strecken gelungen. Wenngleich man sich bisweilen fragt: Will man das alles wirklich so genau wissen – etwa wenn sich Albright detailliert über Trends und Probleme der malaysischen Innenpolitik oder über die Intrigenspiele im Weißen Haus ausläßt. Amerikanisten, Zeitgeschichtler und Profileser im elften oder zwölften Stock der Moskauer KGB-Zentrale werden die Fülle an Material durchaus zu schätzen wissen. Der politisch interessierte Normalmensch mag sich allerdings fragen, ob er Albrights wuchtige Memoiren wirklich stemmen möchte, zumal in diesem Herbst eine Vielzahl spektakulärer Bücher erscheinen, die man als teilnehmender Zeitgenosse eigentlich lesen sollte, von Stefan Müller-Doohms Tausend-Seiter über Adorno bis zu Susan Sontags Foto-Essays, von Imre Kertesz finaler Auseinandersetzung mit Auschwitz bis zu Norbert Gstreins vielschichtigem Kosovo-Roman. Ganz ehrlich: Madeleine Albright hat ein tolles Buch geschrieben. Nur. Die halbe Länge hätte es auch getan.


Buchhinweis:
Madeleine Albright: MADAM SECRETARY – DIE AUTOBIOGRAPHIE
Bertelsmann Verlag (2003), 572 Seiten, ISBN: 3570007294.



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