Klett Cotta Verlag (2003), 292 Seiten, ISBN: 3608942467
Arno Gruen: Verratene Liebe - Falsche Götter
Rezension von Günter KaindlstorferAllmählich verbreitet sich Arno Gruens Ruhm auch in unseren Breiten – wobei Ruhm vermutlich keine Kategorie ist, auf die der 80jährige gesteigerten Wert legt. In seinen Büchern beschäftigt sich der Schweizer Psychotherapeut seit jeher mit den Grenzbereichen zwischen Tiefenpsychologie und Politik. So auch in seinem jüngsten Buch, der überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe einer bereits 1991 erschienen Schrift mit dem Titel "Falsche Götter". Woher, so fragt Arno Gruen in diesem Werk, woher kommt das Bedürfnis vieler Menschen, autoritäre Volksverhetzer oder narzisstisch gestörte Polit-Parvenues zu umjubelten Idolen zu erheben? Woher rührt die weitverbreitete Sehnsucht nach dem "starken Mann", seltener: nach der starken Frau? Warum kommen etwa die Billy-the-Kid-Parolen von Donald Rumsfeld in den USA so gut an? Und warum schließlich darf Osama bin Laden mit seinen mörderischen Kapriolen auf offene oder klammheimliche Massenunterstützung im arabischen Kulturkreis rechnen? Die Antworten auf diese Fragen, so meint Arno Gruen, lägen stets in die Kindheit, sowohl bei den Verführten wie bei den Verführern.
OT Gruen: "Und leider ist es so, daß viele Menschen, vielleicht ein Drittel, im Aufwachsen sehr wenig Liebe erhalten... daß sie lernen sehr früh lernen, sie müssen den Erwartungen der Eltern entsprechen müssen, um nicht abgelehnt zu werden... daß Kinder die Propaganda der Eltern ... daß die Eltern nicht liebend sind, hassend sind.... das Image der Eltern müssen sie als die Wahrheit erkennen.... ein Drittel, vielleicht die Hälfte sehr früh darauf geprägt werden, nicht auf die Wirklichkeit eines Menschen einzugehen, sondern auf das Image, das er von sich produzieren."
Auch die Anhänger Stalins, Hitlers und Mussolinis sind auf das Image ihrer jeweiligen Abgötter hereingefallen. Einer der Gründe dafür: Die genannten Diktatoren boten klare Feindbilder: Juden, Homosexuelle oder Menschen mit anderer Hautfarbe auf der einen Seite, "kapitalistische Blutsauger" oder "sowjetfeindliche Kosmopoliten" auf der anderen. Es ist im Grunde der Haß auf alles Lebendige, der sich in extremistischen Ideologien gleich welcher Couleur manifestiert.
Auf anschauliche und instruktive Weise beschreibt Arno Gruen in seinem Buch die psychodynamischen Mechanismen, die immer wieder gewalttätige und demokratiefeindliche Tendenzen nicht nur in den Kulturen des Westens hervorbringen. Viele, allzu viele Menschen waren in ihrer Kindheit elterlicher Feindseligkeit ausgesetzt, schreibt Gruen. Im Erwachsenenalter suchen diese Menschen oft nach Erlöserfiguren.
Zitat:
"Immer wieder machen verzweifelte Menschen jene zu ihren Führern, ihren Göttern, die den Anschein von Stärke offerieren, aber im Grund leer und destruktiv sind."
Auf diese "falschen Götter" projizieren die Erniedrigten und Beleidigten dieser Welt ihre oft gewalttätigen Sehnsüchte. Immer auch haben diese Menschen ein Bedürfnis nach starren, rigiden Strukturen, diagnostiziert Arno Gruen.
Zitat:
"Das Bedürfnis nach Strukturen ist kennzeichnend für Menschen, die kein eigenes Selbst entwickeln konnten. Autoritäre Strukturen verleihen ihnen das Gefühl einer Identität. Es ist das Auseinanderbrechen dieser Strukturen, das die angestaute Wut in ihnen zum Ausbruch bringt. Die Rebellion, die dadurch ausgelöst wird, hat nicht Freiheit zum Ziel, sie will sich neuen Autoritäten und Strukturen ergeben."
Für demokratische Gesellschaften eine permanente Gefahr. Für Arno Gruen besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Liebesfähigkeit eines Menschen und seiner "Demokratiefähigkeit". Liebe bedeutet, die Individualität eines Vis á vis erkennen und schätzen zu können, sie bedeutet auch, sich am Wachstum des anderen zu erfreuen. Wer liebt, zeigt sich weniger anfällig für narzisstische Ersatzbefriedigungen wie Größe, Macht und Image – alles Dinge, die unsere Kultur in alarmierendem Ausmaß vergöttert. Kein gutes Haar lässt der in Zürich lebende Psychotherapeut in seinem Buch an demokratisch gewählten Polit-Hardlinern wie Margaret Thatcher oder George W. Bush. Liebesfähigkeit ist nicht gerade eine Tugend, die Gruen der eisernen Lady oder dem derzeit amtierenden US-Präsidenten zuschreiben würde. Im Gegenteil.
OT Gruen: "Ich denke, Bush ist auch jemand, der das Tödliche liebt. Er hat nie jemanden begnadigt, als er Gouverneur im Texas war... Aber auch Bin Laden ist nicht anders. Die Menschen, die in die Twin Towers flogen, die haben ja auch das Tödliche zu etwas erhoben, das ihnen ein Gefühl der Lebendigkeit gibt."
Natürlich, es gibt auch Menschen mit einer als lieblos erlebten Kindheit, die aus dem Teufelskreis von Selbsthaß und Destruktion auszubrechen vermögen. Auch nach einem mißglückten Start ist es möglich, ein geglücktes Leben zu führen, sagt Arno Gruen. Man muß sich nicht zwangsweise falschen Erlösern verschreiben.
OT Gruen: "Well, es ist schmerzhaft, sich nicht zu verschreiben, weil man sich seine eigene Geschichte anschauen muß... nicht hoffnungslos... ein Drittel haben eine Kindererziehung gehabt, die auf Liebe beruhte.... wo die Eltern nicht auf dem Image beharrten... ein Drittel hat etwas erlebt von Zuwendung, von Wärme... die es möglich machen würde, auf das Menschliche einzugehen und nicht dem Image zu verfallen."
Auch in der großen Politik sind Hopfen und Malz noch nicht verloren, meint Arno Gruen. Die politische Sphäre ist nicht bloß von narzisstischen Manipulateuren und ich-süchtigen Demagogen bevölkert. Immer hat es auch vorbildhafte Politiker gegeben in der Geschichte der Menschheit – Politiker, denen es um einen vernünftigen Umgang mit der Macht zu tun war.
OT Gruen: "Ich denke, Leute wie Franklin D. Roosevelt, Havel und Abraham Lincoln oder Mandela sind sich sehr bewusst, was die wahren Bedürfnisse von Menschen sind... Würde, Wärme, auch Essen... die nicht darauf basiert, daß man andere zerstört. Diese Menschen hat es auch immer gegeben."
Buchhinweis:
Arno Gruen: VERRATENE LIEBE - FALSCHE GÖTTER
Klett Cotta Verlag (2003), 292 Seiten, ISBN: 3608942467.
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