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Willi Winkler: BOB DYLAN
Biographie, Alexander Fest Verlag (2001), 206 Seiten, ISBN: 3828600778

Willi Winkler: Bob Dylan - Ein Leben

Biographie
Rezension von Günter Kaindlstorfer


Bob Dylan ist gerade einmal zwanzig Jahre alt, als er im September 1961 seine ersten Auftritte in verrauchten Folk-Clubs in New York absolviert. Selten hat sich ein "angry young man" ein derart fulminantes Entree in die Musikwelt verschafft wie der schmächtige Sproß einer jüdischen Eisenwarenhändler-Familie aus Hibbing/ Minnessota. In seinen ersten Songs erzählt der Woody-Guthrie-Fan, der sich in seiner Pubertät an Gedichten von William Blake und Dylan Thomas berauscht hat, in seinen Songs erzählt er von staubigen Highways und der Verlassenheit des Tramps – eine neue Stimme, ein neues Genie? Robert Shelton, Folkmusik-Kritiker der "New York Times", schreibt nach einem Bob-Dylan-Auftritt in "Gerdes Folk City" im Frühherbst 1961:

Zitat:
"Mit seinem engelhaften Gesicht und dem dichten, widerborstigen Haarschopf, den er zum Teil mit einer schwarzen Huckleberry-Finn-Cordmütze bedeckt, sieht Mr. Dylan wie eine Kreuzung aus Chorknabe und Beatnik aus. An seiner Kleidung könnte er noch arbeiten, aber wenn er mit seiner Gitarre oder Mundharmonika oder am Klavier hantiert und neue Songs schneller komponiert, als er sie sich überhaupt merken kann, dann gibt es keinen Zweifel daran, daß dieser Bursche vor Talent aus allen Nähten platzt."

Vierzig Jahre nach seinem bravourösen Debüt ist Bob Dylan längst ein Mythos, eine Ikone der sechziger Jahre wie Roy Lichtenstein oder Che Guevara. Wie erzählt man die Lebensgeschichte eines solchen Mannes? Willi Winkler, Edelfeder bei der "Süddeutschen Zeitung", hat das einzig richtige getan und sich für die Gattung der Heiligenlegende entschieden. Im siebten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts begab es sich also, daß ein blaßhäutiger Twen aus den Vereinigten Staaten die Musik und ihre namenlose Schönheit neu definierte. Für Millionen junger Leute wurden Songs wie "Subterranean Blues" oder "Highway 61 Revisited" zu Erweckungserlebnissen. Wer Ohren hat zu hören, der höre, fordert Willi Winkler.

Zitat:
"Mit Anfang zwanzig spielt Bob Dylan überzeugend den alten Mann, der alles gesehen hat und nichts verzeiht. Die gesamte Erblast der fahrenden Sänger trägt er auf dem Buckel, der Staub der Okies verklebt ihm die Haare, der Ruß der streikenden Bergarbeiter frißt ihm die Stimmbänder weg, der Fusel der wandernden Sänger umweht ihn mitsamt den Legenden von Messerstechereien und Eifersuchtsmorden. Er faßt die ganze untergründige Geschichte der USA in seinen Liedern zusammen."

Bob Dylan soll lange geübt haben, bis er seiner Stimme den rauhen, kehligen Klang antrainiert hat, der seiner, und nicht nur seiner Meinung nach zu einem richtigen Straßensänger gehört. Wie schrieb das "Time Magazin"?

Zitat:
"Die Stimme dieses Mannes klingt, als wehe sie über die Mauern eines Tuberkulose-Sanatoriums."

Mitte der sechziger Jahre, als die USA sich immer auswegloser ins blutige Vietnam-Abenteuer verstrickten und die Rassen-Auseinandersetzungen im Süden sich verschärfen, schlittert Bob Dylan in eine private Identitätskrise. Er hat sich zum Weltstar emporpsalmodiert, er hat hunderte Frauen verführt und kaum einen verbotenen Suchtstoff nicht ausprobiert. Außerdem darf er sich zugute halten, das Genre der Folkmusik revolutioniert zu haben. Wie kann es mit so einem weitergehen? Das fragt sich auch Willi Winkler.

Zitat:
"Bob Dylan ist 25. Innerhalb weniger Jahre ist er zum Herold des jungen Amerika aufgestiegen. Die Byrds singen seine Lieder, die Beatles und die Rolling Stones saugen begierig jedes seiner Worte auf. Es ist die beste Zeit, um jung und schön zu sterben. Wie zehn Jahre zuvor James Dean. Brian Jones, Janis Joplin und Jimi Hendrix und Jim Morrison folgten diesem Muster getreulich nach."

Kunst kommt von sterben können, forumliert Winkler. Der gute alte Künstler-Mythos aus den Tagen der Romantik – in der Todes-Epidemie, die in den späten Sixties prominente Rockgrößen sonder Zahl dahinrafft, feiert der romantische Todes-Kult wieder fröhliche Urständ. Bob Dylan hat ein Problem: Er ist ein Star – und lebt dennoch weiter. An einem Samstag im Juli 1966 kommt der heilige Bob freilich nur knapp davon. Er rattert auf seinem Lieblings-Motorrad, einer englischen Triumph 500, in der Nähe seines Wohnorts Woodstock über die Landstraße, gibt sich dem Rausch der Geschwindigkeit hin, bis oben hin zugedröhnt. Als der Musiker durch eine Öllache schlittert, passiert\'s: Er reißt eine Pletschen, wie man auf gut österreichisch sagt, und zieht sich schwere, nein, schwerste Verletzungen zu. Ein Unfall, der sofort zum Bestandteil der Dylan-Mythologie wird.

Die Fans sehen ihn als Beginn der Dylanschen Schaffenskrise, während der Crash in Wahrheit wohl eher Ausdruck derselben war. Wie auch immer: Wäre Bob Dylan im Juli 1966 ums Leben gekommen, er hätte sich, zynisch gesagt, eine Menge Probleme erspart. Sein Ruhm wäre quasi in religiöse Dimensionen kulminiert, wie im Falle Jim Morrisons oder Che Guevaras, er hätte sich und seinem Publikum die Peinlichkeiten der siebziger und achtziger Jahre überdies nicht zugemutet. Willi Winkler ist ein treuer Biograph, er läßt auch die Jahre der Düsternis nicht aus. Alkohol- und Drogen-Exzesse, künstlerische Downs, Bühnen-Schlappen, zerquältes Wahrheitssuchertum... Und dann findet Bob Dylan, der Orpheus der Landstraße, auch noch zu Jesus Christus. Er mutiert zum christlichen Sektierer, zum salbadernden Fundi, der die Bibel wörtlich nimmt und für mehr Reinheit, mehr Jungfräulichkeit und weniger Sex kämpft. Ein Trauerspiel.

Und doch gelingen Bob Dylan auch in den Siebzigern noch Songs von betörender Kraft, etwa die großartige Ballade über den Boxer Rubin Carter, auch "Hurricane" genannt, der in einem unverhohlen rassistischen Prozeß wegen Mordes verurteilt wird. Songs wie dieser verhindern, daß sich anspruchsvollere Dylan-Fans wie Willi Winkler voller Grausen von ihrem Idol abwenden. "Keiner ist so erfolgreich gescheitert wie Bob Dylan", schreibt Winkler, und dann, gegen Ende seines Buchs, darf er noch einmal jubeln. Bob Dylans bislang letzte CD aus dem Jahr 1997, "Time out of mind", wird auch vom Star-Feuilletonisten der "Süddeutschen" als phänomenales Comeback eingestuft. Grabesdunkel und mit unendlicher Melancholie trägt Dylan kummergetränkte Balladen vor.

Willi Winklers Dylan-Biographie überzeugt mehr durch prägnante Formulierungskünste als durch akkurate Recherche. In der einen oder anderen Rezension ist der 200-Seiten-Band auch schon böse verrissen worden. Um eines der schlechtesten Dylan-Bücher aller Zeiten handle es sich, war zu lesen, schlampig geschrieben und hastig auf den Markt geworfen, einzig und allein, um zum Dylan-Jubiläum ein paar tausend Mark Tantiemen abzustauben. Das Urteil ist zu hart. Aber es stimmt: Winklers Monographie kann nicht wirklich, nicht restlos überzeugen. Allerdings: Ein hübsches Buch für den Kaffeetisch des Dylan-Afficionados ist es allemal geworden, nicht zuletzt auch der eindrucksvollen Fotos wegen, mit denen der Band illustriert ist. Und Bob Dylan selbst? Mit dem Meister ist noch immer zu rechnen. Nachdem der zuletzt mit einem Oscar Geadelte vor einiger Zeit auch eine gefährliche Herzbeutel-Entzündung heil überstanden hat, darf man auf ein würdiges, ein großes Alterswerk hoffen.


Buchhinweis:
Willi Winkler: BOB DYLAN
Biographie, Alexander Fest Verlag (2001), 206 Seiten, ISBN: 3828600778.



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