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Peter Sloterdijk: „Du musst dein Leben ändern“, Suhrkamp-Verlag, 720 Seiten, ISBN: 978-3-518-41995-3

Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern

Rezension von Günter Kaindlstorfer
Ö1, "Kontext", Mai 2009


Peter Sloterdijk ist so etwas wie ein philosophischer Hochleistungssportler. Nicht so sehr, weil er dann und wann in einem  Fitness-Studio in der Wiener City gesichtet wird, wie eine Wiener „Großstadtlegende“ zu wissen vermeint, sondern weil er – eine Art Herakles der Denkanstrengung – im Zweijahresabstand einen präsumtiven Klassiker der deutschen Philosophie nach dem anderen auf den Marktplatz der Meinungen schiebt. „Du musst dein Leben ändern“, Sloterdijks jüngstes Werk, knüpft an ein Rilke-Sonett an, das mit just diesem Aufruf endet: „Du musst dein leben ändern.“ Und wodurch tut der Mensch das am besten? Durch Übung – meint Sloterdijk. Er schreibt:

ZITAT: „Es ist an der Zeit, den Menschen als das Lebewesen zu enthüllen, das aus der Wiederholung entsteht... Das 21. Jahrhundert wird sich im Zeichen des Exerzitiums präsentieren.“

Ich übe, also bin ich. Der Mensch bringt den Menschen hervor nicht durch Arbeit, wie noch die Marxisten glaubten, sondern einzig und allein durch Übung, meint Peter Sloterdijk. Dabei unterscheidet der 62jährige Meisterphilosoph dreizehn Disziplinen, in denen der übende Mensch sich um Vollkommenheit bemühen soll: Von „Akrobatik und Ästhetik“ über „Athlethik“ und „Allgemeine Sportartenkunde“ reicht die Liste der von Sloterdijk angeführten Disziplinen, bis hin zu „Therapeutik“, „Epistemik“, „Administrativik“ und „Sexualpraxiskunde“. Über einige dieser Disziplinen lässt sich der Philosoph detailreich aus in seinem neuen Buch – etwa über den Sport. Dabei stimmt Sloterdijk mit kraftvoller Stimme das Hohe Lied des Trainings an:

ZITAT: „Es kommt darauf an, eine Übung auszuführen und nicht über sie zu raisonnieren. Einen Diskuswurf bringt man nur zustande, indem man den Diskus WIRFT – und kein Gerede über Diskusse und über die richtige Art sie zu werfen, kann den Wurf ersetzen; auch die Biographie der Werfer und die Bibliographie der Wurf-Literatur führen keinen Schritt weiter.“

Wie Nietzsche und Foucault ist es auch Sloterdijk um einen Rückgriff auf antike Übungstraditionen zu tun, Übungstraditionen, die den Bedingungen der Moderne angepasst werden müssen. Auch dem christlichen Exerzitien-Erbe widmet Sloterdijk erhellende Passagen in seinem Buch – von der Benediktinischen Ordensregel bis zu den sadomasochistischen Büsser-Exzessen des heiligen Ignatius von Loyola. Die selbstgeißelnden Exerzitien eines entfesselten Katholizismus sind allerdings nicht die Übungen, die Sloterdijk empfiehlt, zu selbstquälerisch, zu lebensverneinend. „Du musst dein Leben ändern“ ist eine wortgewaltige Absage an metaphysische Tröstungen aller Art. Slotderdijk glaubt nicht an die vielzitierte Renaissance der Religionen. Die Rede von der Wiederkehr der Religion scheint ihm nichts anderes zu sein als ein Wunschtraum frustrierter Moraltheologen, die die chronische Formschwäche des Christentums in einen erschwindelten Auswärtssieg umzudeuten versuchen. Schlusspfiff, Abgang, Dopingprobe positiv!

Sport und Körperertüchtigung – es wurde schon erwähnt – nehmen einen prominenten Platz ein in Sloterdijks Übungshandbuch. Es war die von Nietzsche inspirierte Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende, die den Sport zum modernen Massenphänomen machte. Sloterdijk zeichnet etwa die bizarre Entwicklungsgeschichte der „Olympischen Spiele“ nach, die Pierre de Coubertin in den 1890er Jahren als neu-antike „Kultreligion“ ins Leben gerufen hat.

ZITAT: „Das Gesamtresultat von Coubertins Bemühungen hätte ironischer nicht ausfallen können: Als Religionsgründer ist er gescheitert, weil er als Initiator einer Übungs- und Wettkampfbewegung über jedes erwartbare Maß reüssiert hat... Die Olympische Idee hat nur als säkularer Kult ohne ernstgemeinten Überbau überleben können.“

Die Olympischen Spiele haben eine andere Entwicklung genommen als von ihrem Gründer intendiert. Sie sind zu profanen Massenevents fernab aller pseudoreligiösen Überhöhung degeneriert – und das vermutlich nicht einmal zu ihrem Schaden.

Neben geistvollen Auslassungen zum Thema Sport finden sich in Sloterdijks jüngstem Werk auch instruktive Passagen zu den philosophischen Mehrkampfmeistern Nietzsche, Wittgenstein, Foucault und Oswald Spengler sowie zu Kafkas „Hungerkünstler“, der eine der großen Exerzitienschulen der Menschheit überhaupt praktiziert hat, das Fasten.

Es kann der Homo sapiens nicht NICHT üben. Sloterdijk fordert: Er SOLL sogar üben, wo immer er kann. Keinen Zweifel läßt der Philosoph daran, daß es ihm um so etwas wie „Vertikalität“ zu tun ist, also um stete Verbesserung und Optimierung der zu trainierenden Fertigkeiten. Das bloße Ritual, das Üben um des Übens willen, geht Sloterdijk zu wenig weit. Von ferne grüßt der Übermensch. „Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf!“ fordert Nietzsches Zarathustra bekanntlich, und Sloterdijk folgt ihm auf diesem Weg als williger Adept, wobei wiederum ihm nicht jeder wird folgen mögen.

Sei’s drum: Sloterdijks Buch ist blendend geschrieben wie immer, ein stilistisches Meisterstück, das seine Leser in den geglücktesten Passagen – und deren gibt viele - einem Flächenbombardement zündender Pointen aussetzt. In Anspielung an das titelgebende Rilke-Gedicht ruft Sloterdijk seinem Leser, seiner Leserin zu:

ZITAT: „Gib deine Anhänglichkeit an bequeme Lebensweisen auf, beweise, daß dir der Unterschied zwischen Vollkommenem und Unvollkommenem nicht gleichgültig ist...Vor allem: Gewähre dem Verdacht, der Sport sei eine Sache für die Dümmsten, nur soviel Raum, wie ihm zukommt. Widersetze dich nicht dem Appell zur Form! Ergreife die Gelegenheit, mit einem Gott zu trainieren!“

Gut trainiert, wer mit Apoll trainiert. Peter Sloterdijk scheinen die apollinischen Trainingseinheiten gut getan zu haben. Der 62jährige Mehrkampf-Philosoph präsentiert sich in seinem jüngsten Werk in bestechender Form.




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