Svenja Flaßpöhler: Wir Genußarbeiter
Rezension von Günter KaindlstorferNatürlich, die Arbeit an Hochofen und Fließband ist noch immer nicht das reine Vergnügen. Aber zumindest in Westeuropa gibt es immer mehr Menschen, die ihr Geld im Dienstleistungssektor, in der Wissensarbeit, in den Medien und sogenannten Kreativberufen verdienen. Diesen „Genussarbeitern“, wie Svenja Flaßpöhler sie nennt, macht ihre Arbeit, in der Regel, Spaß. Die Folge: Viele von ihnen sitzen sechzig, siebzig, achtzig Wochenstunden in ihren ergonomischen Stühlen, schlürfen Latte macchiato und hämmern in ihren Mac, ohne zu merken, daß sie dabei auf selbstschädigende Weise über ihre Grenzen gehen. Natürlich ist diese Arbeitsmanie oft auch der Prekarisierung in den „Kreativberufen“ geschuldet, wo der Konkurrenzdruck groß und die Honorare niedrig sind, aber daß gewisse Jobs in der Wissenschaft, in den Medien und der Kunstszene Spaß machen, ist einfach nicht zu bestreiten. Gerade das macht sie ja attraktiv.
ZITAT
„Arbeit ist für uns heute nicht mehr nur Mühsal...“
... schreibt Svenja Flaßpöhler:
ZITAT:
„Wir, die wir unsere Arbeit gern tun und uns in ihr verausgaben auch über das erforderliche Maß hinaus, sind keine Pflichtarbeiter im herkömmlichen Sinne mehr, sondern Genussarbeiter.“
O-Ton Svenja Flaßpöhler:
„Die Frage, die ich mir stelle ist: Was ist das eigentlich für eine Lust, die uns da am Schreibtisch hält? Ist das eine ekstatische Lust? Oder eher eine exzessive Lust, also eine zwanghafte? Diese Frage ist der Schlüssel für eine kritische Gesellschaftsanalyse: Was für eine Lust verspüren wir, wenn wir arbeiten?“
Svenja Flaßpöhlers Antwort fällt eindeutig aus: Es ist eine tendenziell zwanghafte Lust – keine befreiende, sondern eine defizitorientriert Lust, die uns zum obsessiven Arbeiten treibt. Und welches Defizit soll durch manisches Tätigsein ausgeglichen werden? Ganz klar, so Flaßpöhler: die Sehnsucht nach Anerkennung.
OT Svenja Flaßpöhler:
„Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft eine absolute Schieflage haben, was die Anerkennungsstruktur angeht – dahingehend, daß sich die Arbeitnehmer, im weitesten Sinne Arbeitnehmer, auch freiberufliche, unglaublich verausgaben, daß aber auf der anderen Seite sehr wenig an Sicherheit, an einer ganz fundamentalen Anerkennung zurückkommt. Also, es gibt ungesicherte Arbeitsverhältnisse, es ist immer unklar, wie lange man eine Arbeit behält, es gibt Zeitverträge, also, wir müssen uns unglaublich verausgaben, um uns einigermaßen sicher fühlen zu können. Und ich glaube, daß das ganz entscheidend dazu beiträgt, daß die Leute mit einem Burnout in der Klinik landen.“
Letztlich, so Svenja Flaßpöhler, steht das neoliberale Diktum des „Beute dich selbst aus und hab Spaß dabei“ hinter der manischen Arbeitslust vieler Zeitgenossen.
OT Svenja Flaßpöhler:
„Es geht ja nicht nur um Unterdrückungsverhältnisse, sondern wir beziehen daraus ja auch unglaublich viel narzißtische Lust. Zum Beispiel diese plötzliche Anerkennung, die wir erfahren, wenn wir mal in den Medien sind. Das finden ja immer alle ganz toll. Es gibt so punktuelle Anerkennungsboni, die aber letzten Endes nicht wirklich substanziell sind... Aber die fundamentale Anerkennung, die sich meines Erachtens nach zeigt in gesicherten Arbeitsverhältnissen, aber auch in festen Familienstrukturen, die wird immer brüchiger.“
Svenja Flaßpöhlers Buch ist blendend geschrieben,
diagnostisch präzise und sprachlich pointiert. Auch wenn manche ihrer Diagnosen nicht eben neu sind: Flaßpöhler rückt den Veränderungen unserer Arbeitswelt mit psychoanalytischen und religionsphilosophischen Instrumentarien zuleibe – Stichwort: protestantisches Arbeitsethos. Zum anderen fragt sie, auf antike Philosophen wie Aristoteles und Epikur rekurrierend, wie es mit unserer Genussfähigkeit aussieht in Zeiten der postindustriellen Moderne:
OT Svenja Flaßpöhler:
„Ich glaube, es ist mit dem Hedonismus nicht so weit her, wie wir denken. Wir leben in einer prüden und asketischen Gesellschaft, die nach außen hin sehr hedonistisch tut, in Wahrheit aber auf Entsagung beruht. Ein Beispiel ist meinetwegen die Pornographie, die natürlich immer mehr in die öffentlichen Bereiche drängt, und es sieht auf den ersten Blick so aus, als seien wir alle wahnsinnig liberal, aber wenn man mal real kuckt, wie wir Erotik leben und welche Rolle die Erotik in der heutigen Gesellschaft spielt, dann muß man sagen: Das Bild ist eher ein trauriges.“
Der Leistungsimperativ unserer Gesellschaft zwingt uns zu ständigem Triebverzicht, diagnostiziert Flaßpöhler, das ist heute nicht anders als zu Zeiten Max Webers und Sigmund Freuds. Und da hat die Autorin sicher recht, auch wenn Werbung und Konsumindustrie uns etwas anderes zu suggerieren trachten.
Während die Arbeit übrigens vielen zum Genuss wird, wird umgekehrt der Genuss vielen zur Arbeit. Stichwort: Wellness-Boom und Schlankhheitskult.
ZITAT:
„Der moderne, aufgeklärte Mensch muss nicht mehr aus Glaubensgründen fasten, freitags auf Fleisch verzichten und mit dem Sex bis zur Ehe warten; dennoch sind wir in unserer heutigen Hochleistungsgesellschaft ganz offensichtlich weit davon entfernt, wieder schuldlos wie die Tiere zu werden und uns ohne Gewissensbisse dem Nichtstun hinzugeben. Unsere Gesellschaft, in der mehr denn je Schlankheit, Sportlichkeit, Gesundheit, Produktivität und Effektivität gefragt sind, verlangt uns ganz im Gegenteil ein immer höheres Maß an Triebverzicht ab.“
OT Svenja Flaßpöhler:
„Ich glaube, daß der heutige Genussarbeiter ein Problem hat dahingehend, daß er ständig glaubt, etwas tun zu müssen. Er muß ständig aktiv sein. Er versteht sich nur durch das, was er aktiv unternimmt. Und was absolut ausgeblendet wird, ist die Tatsache, daß unsere menschliche Existenz sich eben nicht nur über das Tun definiert, sondern auch über das Lassen. Und deswegen endet das Buch auch mit einem Lob des Lassens.“
Auch wenn Svenja Flaßpöhlers Grundthese von der exzessiven Arbeitssucht heutiger Genussarbeiter allenfalls auf einen Teil der arbeitenden Bevölkerung zutrifft: Die in Berlin lebende Philosophin hat ein lesens- und bedenkenswertes Buch geschrieben, ein Buch, das die Rede von der „Selbstverwirklichung durch Arbeit“ als das entlarvt, was sie letztlich ist: als ideologisches Konstrukt.
Gesendet in der Sendung "Andruck", Deutschlandfunk, November 2011
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