Roman, Manesse Verlag (2006), 570 Seiten, ISBN: 3717520865
Short Stories, Deutsche Verlags Anstalt (2006), 286 Seiten, ISBN: 3421058598
Richard Yates: Elf Arten der Einsamkeit
Short Stories aus dem Englischen von Anette Grube und Hans WolfRICHARD YATES: ZEITEN DES AUFRUHRS
Roman aus dem Englischen von Hans Wolf
Rezension von Günter Kaindlstorfer
Man faßt es nicht: 44 Jahre hat es gedauert, bis Richard Yates\' meisterhafte Short-Story-Sammlung "Elf Arten der Einsamkeit" in deutscher Übersetzung vorliegt. Das mag mit der prekären Rezeptionsgeschichte des 1992 verstorbenen Autors zu tun haben. Selbst in den USA war Yates lange Zeit halb vergessen, obgleich Kollegen wie Richard Ford, Stewart O\'Nan und Joyce Carol Oates sich immer wieder als glühende Yates-Verehrer geoutet haben.
"Elf Arten der Einsamkeit" – ein treffenderer Titel läßt sich kaum denken. Yates erzählt von den Schattenseiten des American Dream, von vereinsamten TBC-Patienten und traurigen Pflichtschullehrerinnen, von wortkargen Army-Feldwebeln und schicksalsergebenen Sekretärinnen, die genau den Mann heiraten, der sie todsicher unglücklich machen wird. Der Autor geht mit äußerster Lakonik ans Werk, Yates\' Texte erzielen mit sparsamsten Mitteln ein Maximum an Wirkung. In der ersten Story des Bandes – "Doktor Schleckermaul" – wird die Geschichte eines Volksschul-Outcasts erzählt: Vincent Sabella kommt in eine neue Klasse. Der Bub hat viele Jahre in New Yorker Waisenhäusern verbracht, seit kurzem lebt er bei Pflegeeltern in einem Mittelschichts-Städtchen in der Nähe der Hudson-Metropole. Als Sabella die neue Klasse betritt, mustern ihn die Mitschüler verächtlich: Seine Kleidung, der ordinäre Slang, die gelben Zähne, all das weist ihn unzweifelhaft als Unterschichtler aus.
Zitat:
"Normalerweise trug der Umstand, daß einer aus New York kam, dem Betreffenden ein gewisses Prestige ein. Andererseits war auf den ersten Blick zu erkennen, daß Vincent Sabella überhaupt nichts mit Wolkenkratzern zu tun hatte."
Die abgetragene Kleidung des Kleinen, die geduckte Haltung, die krächzende Stimme, all das macht ihn von Anfang an zum Klassenparia. Daß ihn Miss Price, die junge Lehrerin, aus naiver Gutwilligkeit heraus gegenüber seinen Mitschülern bevorzugt, macht den Knirps erst recht zum Klassensozialfall. Richard Yates zeichnet das einfühlsame Porträt eines Außenseiters, mit Takt und Empathie, aber auch mit leisem, unaufdringlichem Witz.
In seinen formvollendeten Kurzgeschichten beweist der 1926 in Yonkers geborene Autor einen klaren Blick für soziale Differenzen, Yates schreibt cool, präzise, unsentimental. Eine Edward-Hopper-hafte Melancholie liegt über diesen Stories. Von einem Durchschnitts-Loser handelt auch die Erzählung "Ein Masochist". Geschildert wird ein schicksalsschwangerer Tag im Leben des Angestellten Walter Henderson: der Tag, an dem er gefeuert wird.
Zitat:
"Die Tür zu seinem Büroabteil schwang auf, und sein Chef George Cromwell stand da und blickte unbehaglich drein. "Könnten Sie kurz in mein Büro kommen?"
"Gut, George."
Walter folgt ihm aus seinem Abteil durch das Großraumbüro, spürt die vielen Blicke in seinem Rücken. Würde behalten, sagt er sich. Jetzt war es wichtig, Würde zu behalten."
Walter ahnt es seit Wochen: Die Firma will ihn loswerden. Er ist der geborene Verlierer, einer, der sich auf perverse Weise wohlfühlt in der Rolle des Opfers. Yates zeigt seinen Protagonisten als Schussel vom Dienst, als einen, der zwanghaft heftig gegen Türen drückt, auf denen "Ziehen" steht. In seinem Job fühlt Walter sich überfordert, er bewältigt die Aufgaben nicht, die ihm sein Chef anvertraut hat.
Zitat:
"Walt, ich möchte nicht um den heißen Brei herumreden", sagte sein Vorgesetzter... "Mister Harvey und ich sind widerstrebend zu dem Schuß gekommen, daß es am besten wäre, Sie gehen zu lassen. Das ist", fügte er rasch hinzu, "nicht gegen Sie persönlich gerichtet. Wir haben hier eine hochspezialisierte Arbeit, und wir können nicht von jedem erwarten, daß er immer auf dem neuesten Stand ist."
Richard Yates schildert das Drama einer beruflichen Demütigung: das Ausräumen des Schreibtischs, die Mitleidsbekundungen der Kollegen, die Sekretärin, die aus allen Wolken fällt, der tragische Abgang zwischen zwei sich schließenden Lifttüren, die Ahnungslosigkeit der Kinder zu Hause, die Frau, die ängstlich um den niedergeschmetterten Gatten bemüht ist – der Autor trifft genau den richtigen Ton in dieser traurigen Geschichte.
Vielleicht gibt die Traurigkeit dieser Erzählung auch einen Hinweis darauf, warum Richard Yates so lange kaum zur Kenntnis genommen wurde. Wie durch die Short-Stories Raymond Carvers spukt auch durch Yates\' Geschichten eine tiefempfundene Hoffnungslosigkeit, eine elegische Trostlosigkeit, die gewiß nicht von jedermann goutiert wird. Einen schwer zu leugnenden Vorzug haben diese Geschichten allerdings: ihre Wahrhaftigkeit.
Als trostlos darf in gewisser Weise auch Richard Yates Biographie charakterisiert werden. Zu Beginn der Sechziger feierte der zu exzessivem Alkohol- und Nikotin-Mißbrauch neigende Autor einen gewissen Erfolg mit zwei Titeln: mit dem hier besprochenen Erzählband – und mit dem Roman "Zeiten des Aufruhrs", einer virtuos gearbeiteten Abrechnung mit der amerikanischen Mittelschichts-Spießigkeit der 50er Jahre. Nachdem er sich so ein beachtliches Entree in die US-amerikanische Literaturszene verschafft hatte, ging es rapid bergab mit Richard Yates. Bis in die frühen Neunziger Jahre verdingte er sich als Creative-Writing-Dozent an verschiedenen Provinz-Colleges, dabei soff und tschickte sich der unendlich begabte Schriftsteller konsequent und letztlich erfolgreich dem Grab entgegen. In seinen späteren Arbeiten, so versichern Kenner seines Werks, hat Richard Yates nie wieder die Qualität der ersten beiden Bücher erreicht.
Diese beiden Bücher liegen nun in deutsche Übersetzung vor: Der Manesse-Verlag hat Yates fulminanten Erstlingsroman "Zeiten des Aufruhrs" soeben in einer schönen Ausgabe unter die Leute gebracht. Und in der Erzählsammlung "Elf Arten der Einsamkeit", die DVA jetzt vorgelegt hat, lassen sich einige jener Kurzgeschichten nachlesen, die Richard Yates\' Ruhm mitbegründet haben. Denn eines ist unbestreitbar: Diese Short-Stories gehören zum Vollkommensten, was das Genre zu bieten hat.
Buchhinweis:
Richard Yates: ELF ARTEN DER EINSAMKEIT
Short Stories, Deutsche Verlags Anstalt (2006), 286 Seiten, ISBN: 3421058598.
Richard Yates: ZEITEN DES AUFRUHRS
Roman, Manesse Verlag (2006), 570 Seiten, ISBN: 3717520865.
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