Truman Capote: Sommerdiebe
Roman aus dem Englischen von Heidi ZerningRezension von Günter Kaindlstorfer
Er habe es immer gewußt, hat Truman Capote einmal von sich behauptet: Er brauche nur eine Handvoll Wörter in die Luft zu werfen, und sie fielen genau in der richtigen Reihenfolge wieder herab. Die eitle Selbsteinschätzung eines Großmauls, möchte man meinen. Das Problem ist nur: Der Mann ist der Wahrheit doch recht nahe gekommen. Wenn man Capotes lange verschollen geglaubten Erstling liest, ist man verblüfft über das literarische Ingenium, das sich hier offenbart. Kaum zu glauben, daß ein 19jähriger diesen Text verfaßt haben soll, einen Text, der trotz gewisser Unzulänglichkeiten mit einem Übermaß an charmanten Szenen und brillanten Sequenzen aufwartet.
Capote selbst hat nicht allzuviel von seinem Debütroman gehalten. "Sommerdiebe" sei "dünn, clever, unempfunden", hat der Dichter in reiferen Jahren einmal zu Protokoll gegeben. Und im Interview mit Lawrence Grobel behauptete Capote später, das Manuskript sei gar nicht so schlecht gewesen, es hätte sich gut veröffentlichen lassen, er habe es allerdings vernichtet, weil eine Publikation seinem Renommee letztlich geschadet hätte. Darüber kann man geteilter Meinung sein. Faktum ist: "Sommerdiebe" ist die beachtliche Talentprobe eines Autors, den selbst sein Intimfeind Norman Mailer für den "vollkommensten Schreiber" seiner Generation gehalten hat.
Im Zentrum des Geschehens steht ein 17jähriges New Yorker Upper-Class-Girl namens Grady McNeil. Vor kurzem noch ein Wildfang mit verschorften Knien, ist das Finanzmagnaten-Töchterl aus Uptown Manhattan zur sublimen, wenngleich etwas kapriziösen Schönheit herangeblüht. In Gradys postpubertärer Unberechenbarkeit scheint bisweilen schon Holly Golightly durchzublitzen, die flatterhafte Partygöre aus Capotes Meisterroman "Frühstück bei Tiffany". Am Beginn von "Sommerdiebe" läßt Capote die 17jährige mit Mam und Dad im "Plaza" frühstücken, dann bringt Grady ihre Eltern zum Hafen, wo ein schicker Oceanliner auf sie wartet. Der wird die Eltern zu einer mehrmonatigen Europareise über den Atlantik befördern. Grady fühlt sich großartig.
Zitat:
"Eine freudige Erregung stieg in ihr auf angesichts dieses Sommers, der sich vor ihr erstreckte wie eine endlose weiße Leinwand, auf die sie selbst die ersten groben Pinselstriche auftragen konnte, ganz und gar frei."
Es ist eine klassische Boy-meets-Girl-Geschichte, die Truman Capote da entwirft. Grady nutzt die sommerliche Freiheit, so vorübergehend sie auch sein mag, um eine aberwitzige Affäre mit dem Parkplatzwächter Clyde Manzer einzugehen. Clyde, ein Proll aus Brooklyn, paßt zu Grady wie ein Automechaniker aufs Galadiner. Just das aber scheint die 17jährige zu attrahieren. Ewig lockt der Plebs, vor allem auf erotischem Terrain.
Zitat:
"Los, steck mir eine Zigarette an", sagte er. Clyde Manzers Stimme, knurrig vom Schlaf, aber immer etwas heiser und belegt, hatte eine bestimmte Eigenschaft: alles, was er sagte, machte einen gewissen Eindruck, denn eine murmelnde Kraft, gedämpft wie ein Motor im Leerlauf, durchzog jede Silbe mit der Lunte der Männlichkeit. "Sabber die Zigarette nicht voll", sagte er. "Du sabberst sie immer voll!"
Szenen wie diese offenbaren den späteren Meister. Truman Capote zeichnet Charaktere aus Fleisch und Blut, man kauft es Grady ab, daß sie dem rohen Clyde verfällt. Auch die Nebenfiguren sind treffend gezeichnet. Gradys wohlhabender Verehrer Peter, ihre verbiesterte Schwester Apple, Clydes Familie drüben in Brooklyn – sie alle kann man sich anschaulich vorstellen bei der Lektüre.
Zitat:
"Die Manzers waren in der Tat eine Familie: die abgestandenen Düfte und die abgenützten Möbel ihres mit Nippes vollgeräumten Hauses rochen stark nach einem gemeinsamen Leben und einer Eintracht, die kein Aufruhr sprengen konnte... Für Grady war es eine fremde, eine warme, fast eine exotische Atmosphäre."
Es nimmt kein gutes Ende mit den Liebenden. Grady und Clyde heiraten, die junge Frau wird schwanger, in einem alkoholgetränkten Finale steuert sie ihr Buick-Cabrio auf den Abgrund hinter den Leitplanken der Queensboro Bridge zu. Ein melodramatisches Ende für einen ansonsten überzeugenden Roman. Schon in seinem Erstling bezaubert Truman Capote mit funkelnden Dialogen und stimmungsvollen Bildern. In fast schon impressionistischer Manier fängt der Autor die Farben des New Yorker Nachkriegssommers ein. Auch dem nihilistischen Lebensgefühl der Happy Few von Manhattan wird einprägsam Ausdruck gegeben.
Zitat:
"Der größte Teil des Lebens ist so langweilig, daß es sich nicht lohnt, darüber zu reden, und langweilig ist es in allen Lebensaltern. Wenn wir die Zigarettenmarke wechseln, in ein neues Stadtviertel ziehen, eine andere Zeitung abonnieren, uns ver- und entlieben, dann protestieren wir auf oberflächliche und auch tiefe Weise gegen die nicht zu mildernde Langeweile des alltäglichen Lebens."
Truman Capote hat bedeutendere Bücher geschrieben als dieses, keine Frage. Das überragende Talent des New Yorker Exzentrikers blitzt in dem schmalen Erzählwerk aber schon auf. "Sommerdiebe" ist ein anmutiger Roman, mit leichter Hand geschrieben, ein schmales, charmantes Buch von subtiler Traurigkeit.
Buchhinweis:
Truman Capote: SOMMERDIEBE
Roman, Kein & Aber (2006), 145 Seiten, ISBN: 3036951571 .
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