Radek Knapp: Papiertiger
Eine Geschichte in fünf EpisodenRezension von Günter Kaindlstorfer
Schon so mancher, weiß ein hübsches Apercu, sei als Tiger losgesprungen und als Bettvorleger gelandet. Eine Redewendung, die auf Walerian, den Helden von Radek Knapps neuem Erzählband, ganz und gar nicht zutrifft. Wenn das Bild nicht so schief wäre, könnte man sagen: Walerian, der Langeweiler, ist als Bettvorleger gestartet und als Bettvorleger gelandet. In der ersten der fünf, lose miteinander verknüpften Erzählungen lernen wir den jungen Mann als ziellosen Taugenichts von Ende zwanzig kennen, als charmanten Gelegenheitsarbeiter, der sich als Krankenpfleger, Weihnachtsengel und Aushilfswärter eines Paviangeheges durchs Leben schlägt. Walerian, so heißt es im Buch, hatte unzweifelhaft ein Problem mit dem, was man als Zukunft bezeichnet. Eine Problematik, die der junge Tagträumer mit Millionen anderen Twenty- und Thirty-Somethings von heute teilt, die als verwöhnte Mittelschichtssprößlinge vom Ethnologiestudium zur Shiatsu-Ausbildung, vom Gelegenheitsjob als Call-Center-Angestellter zur sechsmonatigen Tracking-Tour durch die Anden hin- und herswitchen, ohne auch nur im entferntesten eine Ahnung zu haben, was sie mit ihrem Leben eigentlich anfangen sollen. Immerhin, Walerian fühlt sich nicht recht wohl in seiner Haut, wie wir schon zu Beginn des Buchs erfahren.
Zitat:
"Er ging auf die Dreißig zu und verspürte ein wachsendes Schamgefühl darüber, bis dahin keine außergewöhnlichen Taten vollbracht zu haben, und, was noch bedenklicher war, auch keine solchen zu planen."
Wenigstens das: Walerian schreibt. Zwischen ausgiebigen Fernseh-Sessions ringt er sich eine Erzählung namens "Papiertiger" ab. Er betrachtet das Schreiben freilich eher als Marotte denn als ernsthafte Betätigung. Daß seine literarischen Ergüsse von einem deutschen Großverlag publiziert werden, daß er binnen weniger Wochen zum Autoren-Starlet der Saison avanciert, nimmt Walerian mehr erstaunt denn befriedigt zur Kenntnis. Radek Knapps Erzählband ist eine hübsche Satire auf das Schriftstellerdasein, auf die Riten und Rituale des Literaturbetriebs mit all ihren Lächerlichkeiten. Sein neues Buch, sagt der 39jährige Autor, sei allerdings auch ein zoologisches Werk, gewissermaßen.
OT Knapp: "Also, es gibt auf unserem Planeten alle möglichen Lebensformen... Papiertiger ist ein Tier, das sich dadurch auszeichnet, dass es sich nicht wohl fühlt an dem Ort, an dem es sich gerade befindet. Es ist ein Tier, das an notorischer Unentschlossenheit leidet, und ich denke, dass die Entlarvung des Papiertigers... einfach zu unserer Pflicht gehört. Und dieses Buch ist die Entlarvung eines Papiertigers."
Radek Knapp kann, was den Plot seines Erzählbands betrifft, durchaus aus eigenem Erleben schöpfen. Knall auf Fall stieg der junge Autor 1994 mit seinem Erzählband "Franio" zum Darling der deutschen Feuilletons, zum inbrünstig akklamierten Jungstar der Frankfurter Buchmesse auf ein Avancement, das ihm nicht nur gut getan hat, wie Radek Knapp heute unumwunden bekennt. Wenn man so schnell, so scheinbar mühelos Erfolg hat, verliert man leicht den Boden unter den Füßen.
OT Knapp: "Niemand ist heute so stark, dass er seine Eitelkeit im Zaum halten könnte. Ich war da bei Gott keine Ausnahme. Und heute bezahle ich dafür, aber diesen Preis bin ich gern zu zahlen bereit. Zu viel Eitelkeit schadet nämlich mächtig dem Schreibstil."
Radek Knapp hadert mit dem Schriftstellerdasein. Er würde gern wieder zur, wie soll man es nennen, "Unschuld der frühen Jahre" zurückkehren.
OT Knapp: "Mein Traum geht dahin, dass ich gern wieder schreiben würde wie ein Debütant. Es ist eine Tatsache, dass erste Bücher in der Regel blendend geschrieben sind, wie es auch eine Tatsache ist, dass zweite Bücher – wieder in der Regel nicht so gut sind."
Woran liegt es Radek Knapps Meinung nach, dass erste Bücher häufig besser sind als zweite Bücher?
OT Knapp: "Das erste Buch wird von einem Krankenpfleger oder Taxifahrer geschrieben, das zweite von einem Schriftsteller."
Schon, schon. Allerdings weiß auch Radek Knapp, dass sich ein Berufswechsel vom Haupterwerbsautor zum Taxifahrer als langfristig eher unkomfortabel herausstellen dürfte, es sei denn, der Autor von "Papiertiger" fände plötzlich Spaß daran, als 60160-Chauffeur durch Wien zu kutschieren. Eher unwahrscheinlich. Immerhin, bei anderen, älteren Schriftstellern findet Radek Knapp, der mit dem Autorenstand Hadernde, Trost.
OT Knapp: "Ich habe einmal vor zwei Jahren so einen kleinen Preis gekriegt. Und der wahre Preis war, dass ich beim Frühstücksbuffett Imre Kertesz getroffen habe. Und ich habe ihm vorgejammert: Ich halte diese ganze Scheiße mit dem Schriftstellersein nicht mehr aus. Er hat\'s verstanden. Er hat gewusst: Zu einem echten Schriftsteller gehört wohl die Verneinung des Schriftstellers."
Die Erzählungen in Radek Knapps Büchelchen sind von durchaus unterschiedlicher Qualität. Wirklich gelungen sind nur die Texte drei und vier, zusammen etwa neunzig Seiten. In diesen beiden Texten, "Papiertiger" und "Die neue Bewunderin" heißen sie, macht sich der 39jährige auf charmante Weise über die Merkwürdigkeiten des Literaturbetriebs lustig. Trotz einschlägiger Klischees, die da bemüht werden, gelingt Radek Knapp eine pfiffige Persiflage auf Dichtereitelkeiten und die Anhimmelungssucht literarischer Enthusiastinnen. Die Stories eins, zwei und fünf wirken fallweise unplausibel und scheinen zu den beiden anderen nicht recht zu passen.
Alles in allem ein heterogener Erzählband, dessen Qualitäten vor allem in den beiden Kerntexten zur Geltung kommen.
Buchhinweis:
Radek Knapp: PAPIERTIGER
Erzählungen, Piper Verlag (2003), 148 Seiten, ISBN: 349204395X.
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