Barbara Aschenwald: Omka
Rezensiert von Günter KaindlstorferORF, „Ex Libris“, März 2013
Das passiert einem als Rezensenten auch nicht oft: Man schlägt ein Buch auf und erwartet, vielleicht von der Kritiker-Sünde des Ennuis angekränkelt, etwas zu lesen, das man so oder ähnlich schon hundertfach gelesen hat. Und dann beginnt ein Roman mit zauberischen Worten wie diesen:
ZITAT:
„Es war einmal oder war auch nicht vor langer Zeit ein Mädchen mit einer Seele aus Wasser, das nicht zur Welt kommen konnte, weil seine Mutter nicht bemerkt hatte, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug. Das Kind wurde trotzdem geboren und glaubt seitdem, es sei gar nicht da. Ich kannte die Mutter, aber das Mädchen kenne ich nicht, seine Seele war niemals auf der Welt.“
Was ist das? Eine romantische Phantasie? Ein Märchen? Ein literarisches Spukbild mit poetischen Zügen? Barbara Aschenwalds Roman „Omka“ ist all das zusammen und doch noch vieles mehr. Man kann den Erstlingsroman der 31jährigen Tirolerin auch als Parabel über bestimmte Erscheinungsformen weiblicher Destruktivität lesen, als realistisches Porträt einer affektiv gestörten Frau.
OT Barbara Aschenwald:
„Es ist insofern realistisch, als „Omka“ in unserer modernen Zeit spielt, in unserer Welt, die aber trotzdem ihren Zauber, ihre Träume und Poesie hat.“
Ausgangspunkt für Barbara Aschenwalds Roman ist ein realer Fall: Am Abend des 19. September 2010 erstickt die Rechtsanwältin Sabine R. in der südbadischen Stadt Lörrach zuerst ihren fünfjährigen Sohn mithilfe einer Plastiktüte, dann tötet sie ihren ehemaligen Lebensgefährten mit zwei Schüssen in Hals und Kopf und stürmt, wild um sich schießend, ein nahegelegenes Krankenhaus, wobei sie einen Pfleger mit Messerstichen und Schüssen zu Tode bringt und achtzehn Menschen zum Teil schwer verletzt. Bis heute rätseln die Einwohner von Lörrach über die Motive der 41jährigen, die im apokalyptischen Finale ihres Amoklaufs von siebzehn Polizeikugeln durchlöchert starb.
Barbara Aschenwald hat in der Zeitung vom Lörracher Amoklauf gelesen. Die Autorin begann zu recherchieren und ließ sich von den grausigen Ereignissen zu einem in jeder Hinsicht erstaunlichen Buch inspirieren. Im Zentrum des Romans steht eine Frau namens Omka. Der anagrammatische Name ist Programm: aus den Buchstaben O, M, K, A lassen sich sowohl die Wörter „Amok“ als auch „Koma“ formen. Und in komatösem Zustand wird Omka zu Beginn des Romans am Ufer eines Sees aufgefunden. Ein Schwimmunfall, wie es scheint. Man bringt die unbekannte Frau in ein Krankenhaus und päppelt sie wieder auf. Im Spital lernt Omka einen sensiblen, etwas verloren wirkenden Mann kennen, Josef, Patient, wie sie. Josef fühlt sich von der rätselhaften Schönen angezogen. Die beiden Rekonvaleszenten klammern sich aneinander, Omka zieht zu Josef. Bald gibt es erste Misshelligkeiten: Josef muss feststellen, dass Omka anders ist als andere Frauen...
Während der Lektüre staunt man immer wieder über das psychologische Feingefühl, mit dem Barbara Aschenwald ihren Figuren zu Leibe rückt, über die empathische Akkuratesse, mit der sie die Seelen ihrer Protagonisten ausleuchtet. Und man staunt über die Kunstfertigkeit, mit der die 31jährige die Geschichte einer psychisch kranken Killerin mit archetypischen Mythen- und Märchenmotiven verknüpft.
OT Barbara Aschenwald:
„Heute würde man sagen: Omka hat eine psychische Erkrankung. Die hat was Psychpathologisches, sie ist nicht normal. Das Gefühl des ständigen Mangels, sie hat das Gefühl, sie hat keinen Boden unter den Füßen. Es gibt eine Sagengestalt in der slawischen Mythologie – Rusalka -, es gibt sie auch in der deutschen Mytholoie, da sind’s die Undinen, die kommen aus dem Wasser und haben keine Seele. Undinen sind keine Menschen, es sind Wassergeister, die kommen an Land, um sich hier eine Seele zu suchen.“
So, wie Omka über Josef kommt und ihn – metaphorisch und buchstäblich – seiner Seele beraubt.
OT Barbara Aschenwald:
„Ich glaube, es gibt mehr Frauen, die Züge von Omka haben, als man landläufig meinen möchte.“
Es ist ein echtes Bravourstück, das Barbara Aschenwald mit „Omka“ gelungen ist. Die Autorin erzählt eine poetische, psychologisch plausible Geschichte von staunenswerter Suggestivkraft, eine Parabel weiblichen Selbstverlusts, die den Leser mit undinenhafter Unwiderstehlichkeit in ihren Bann zieht.
Das Buch:
Barbara Aschenwald: „Omka“, Roman, Hoffmann und Campe, Hamburg, 220 Seiten.
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