Karl Ove Knausgard: „Träumen“, aus dem Norwegischen von Paul Berf, Luchterhand-Verlag, München, 794 Seiten
Karl Ove Knausgard: Träumen
Rezension von Günter KaindlstorferLiterarisch haben die in Romanform gekleideten Konfessionen des Karl Ove Knausgard so gar nichts Spektakuläres an sich. Landauf, landab – zwischen „Frankfurter Allgemeiner“ und „New York Review of Books“ – zermartern sich die Kritiker den Kopf, wie es der 47-jährige Norweger schafft, einen autobiographischen Weltbestseller nach dem anderen auf dem Markt zu platzieren. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Knausgard offeriert dem Normalleser – auch der -leserin – ein identifikatorisches Angebot, das man schwerlich ausschlagen kann, und das ist für eine qualifizierte Majorität der lesenden Menschen offenbar immer noch ein unwiderstehliches Kaufargument.
In seinem aktuellen Roman, „Träumen“, zum Beispiel beschreibt der Norweger sein Leben zwischen 19 und 32, und alles, alles, was Knausgard da schildert – nicht im Detail, aber in den großen Linien – ist dem lesenden Normalbürger wie dir und mir bestens vertraut. Die nagenden Selbstzweifel, die unbeholfenen Annäherungen ans andere Geschlecht, die Schrecknisse des Sexus und der heraufdräuenden Berufsfindung – wer Knausgard liest, liest, ob er will oder nicht, bis zu einem gewissen Grad auch in seiner eigenen Vergangenheit.
„Träumen“ beginnt im Jahr 1988, mit einer Mittelmeerreise, wie sie Millionen Jungeuropäer in den Sommerferien so oder ähnlich hinter sich gebracht haben:
ZITAT:
„Ich war in jenem Sommer mit Lars nach Florenz getrampt, wo wir ein paar Tage blieben und anschließend den Zug nach Brindisi nahmen, und wenn man den Kopf aus dem offenen Zugfenster steckte, war es so heiß, dass man das Gefühl hatte, es würde brennen. Nacht in Brindisi, dunkler Himmel, weiße Häuser, eine nahezu traumartige Hitze, riesige Menschenmengen in den Parks, überall junge Leute auf Vespas, laute Rufe und Lärm. Wir stellten uns mit unzähligen anderen, die fast alle jung waren und Rucksäcke trugen, in die lange Warteschlange vor dem Steg zu dem großen Schiff, das nach Piräus fuhr. 49 Grad auf Rhodos. Ein Tag in Athen, dem chaotischsten Ort, an dem ich jemals gewesen war und wo es so irrsinnig heiß war, danach das Schiff nach Paros und Antiparos hinaus, wo wir jeden Tag am Strand lagen und uns jeden Abend mit Schnaps betranken.“
Na gut, das mit dem Schnaps mag sich im Einzelfall anders abgespielt haben – Nicht-Skandinavier bevorzugen in ägäischen Nächten gewöhnlicherweise weniger harten Stoff, Rotwein der Firma „Boutari“ zum Beispiel, oder wohlfeilen Retsina um 2,90 den Liter, aber sonst: Aber so, wie Knausgard es beschreibt, so war’s, und so ist es immer noch, wenn sich die studierende Jugend Europas an Griechenlands Stränden in dionysischen Exerzitien übt.
Nachdem er per Eisenbahn und Autostopp ins heimatliche Norwegen zurückgekehrt ist, tritt Knausgards Protagonist, also Karl Ove Knausgard selbst, sein Studium ausgerechnet in Bergen an, der regnerischsten Großstadt Europas. Sei’s drum, der junge Mann ist verliebt, das kompensiert selbst die schlimmsten Wetterunbilden: in ein junges Mädchen namens Ingvild, das er Monate zuvor zwar nur eine halbe Stunde lang gesehen hat, was indes genügte, den Keim der Verliebtheit in sein Herz zu pflanzen. Im Zug nach Westnorwegen bereitet Knausgard sich auf sein Studium an der „Akademie für Schreibkunst“ in Bergen - und auf das Wiedersehen mit Ingvild vor.
ZITAT:
„Ich saß auf meinem Sitz, rauchte, trank Kaffee und las ein paar Zeitungen, jedeoch keine Bücher, weil ich dachte, es könne meine Prosa beeinflussen... Nach einer Weile holte ich Ingvilds Briefe heraus. Ich hatte sie den ganzen Sommer über bei mir getragen, in den Falzlinien lösten sie sich allmählich auf, und ich konnte sie beinahe auswendig, aber sie verströmten ein Licht, etwas Gutes und Lustvolles, mit dem ich bei jeder Lektüre erneut in Kontakt kam... Ich wusste, dass sie die Richtige war.“
Süßer Vogel Jugend: Knausgards Held trifft Ingvild in Bergen wieder, auf einer Studentenparty versucht er, die Schöne zu der seinen zu machen:
ZITAT:
„Ich legte die Arme um sie und küsste sie. Sie wich einen Schritt zurück, setzte sich auf die Bettkante.
„Ich muss dir was sagen“, setzte ich an. „Ich bin... na ja, eine Art Monster, wenn es um Sex geht. Es ist nicht ganz leicht, es zu erklären, aber... ach was, vergiss es.“
Ich setzte mich neben sie, legte den Arm um sie und küsste sie und drückte sie auf den Rücken und legte mich auf sie und küsste sie wieder, sie war schüchtern und zurückhaltend, ich küsste sie auf den Hals, strich ihr mit der Hand durchs Haar, zog langsam ihren Pullover hoch und küsste ihre Brust, und sie setzte sich auf und zog den Pullover wieder herunter und sah mich an.
„Das fühlt sich nicht richtig ab, Karl Ove“, sagte sie. „Das geht mir zu schnell.“
„Ja“, sagte ich und setzte mich ebenfalls auf. „Du hast recht. Entschuldige, bitte.“
Kein Meisterverführer ist bis jetzt vom Himmel gefallen, auch Karl-Ove hat noch einiges zu lernen, in der Liebe wie in der Kunst, wie ihm in Bergen eindringlich vor Augen geführt wird. In unmanierierter, einfacher Alltagsprosa schildert Knausgard, wie es seinem Helden in seinen Studienjahren ergeht: Der junge Mann muss erleben, dass ihm ausgerechnet sein bewunderter Bruder Yngve die anmutige Ingvild ausspannt, später haben die beiden Brüder ihren alkoholkranken Vater zu Grabe zu tragen, und auch das Studium an der „Akademie für Schreibkunst“ – wo Knausgard unter anderem beib berühmten Jon Fosse studiert – erweist sich als eine eher zähe Angelegenheit.
ZITAT:
„Ich wusste so wenig, wollte so viel, brachte nichts zustande.“
Knausgards Held kämpft mit nagenden Selbstzweifeln, er hat – nicht zu Unrecht – das Gefühl, dass seine Kommilitoninnen und Kommilitonen reifer, cleverer, begabter sind als er. Er quält sich mit seinem ersten Roman und hadert mit dem, was ihm an der „Akademie für Schreibkunst“ alles beigebracht wird.
ZITAT:
„Ich wusste, dass die bisher letzte Erneuerung des Romans im Frankreich der sechziger Jahre stattgefunden hatte und, vor allem in den Romanen Claude Simons, weitergeführt wurde. Ich wusste zudem, dass ich den Roman niemals erneuern und nicht einmal jene kopieren konnte, die den Roman erneuert hatten, da ich nicht begriff, wo das Wesentliche lag... Ich hatte eine Erkenntnis gewonnen: Ich war kein Schriftsteller. Was Schriftsteller hatten, das hatte ich nicht.“
Es ist einfach, sich mit dem Protagonisten in Karl Ove Knausgards fünftem Roman zu identifizieren. Da erzählt einer von sich, der genauso von Ängsten, Selbstzweifeln, Unsicherheiten zerfressen ist wie die meisten von uns. Der zweite Grund, warum Knausgards Romane so erfolgreich sind, liegt, wie man wohl annehmen darf, in ihrer Sprache. Knausgards kunstloser Stil verlangt dem Leser keinerlei Leseanstrengung ab, man kann diese Romane wegschmökern wie jeden x-beliebigen Unterhaltungsroman, das unterscheidet Knausgard auch von Proust, mit dem er des enzyklopädischen Charakters seiner Konfessionen wegen immer wieder verglichen wird. Andererseits hat die unmanierierte Sprache des Norwegers auch einen unleugbaren Vorzug: Sie verleiht dem, was er zu sagen hat, den Charakter des Frischen, des Authentischen. Insofern lässt sich sagen: Es hat schon bedeutend schlechtere Bücher gegeben als die des Karl Ove Knausgard, die es zu Bestsellerehren gebracht haben.
Karl Ove Knausgard: „Träumen“, aus dem Norwegischen von Paul Berf, Luchterhand-Verlag, München, 794 Seiten.
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